Die außerordentliche Kündigung eines Mietvertrages setzt stets einen wichtigen Grund voraus. Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien, und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
Der Bundesgerichtshof (Urteil vom 9.11.2016 – VIII ZR 73/16) hat unlängst entschieden, dass im Rahmen der Abwägung der beiderseitigen Interessen und der Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles auch Härtegründe des Mieters zu berücksichtigen sind. Der Bundesgerichtshof hatte hierbei über ein bereits seit dem Jahre 1955 bestehendes Mietverhältnis zu entscheiden. Die mittlerweile 97-jährige bettlägerige Beklagte leidet unter Demenz und wird von ihrem ebenfalls beklagten Betreuer ganztägig gepflegt. Der Betreuer wohnt in einer gesonderten Wohnung, welche im selben Haus und Stockwerk liegt, wie die Wohnung der Beklagten.
Nachdem der Beklagte durch die Vermieterin gebeten wurde, ein Fahrrad aus dem Hausflur zu entfernen, unterstellte der Beklagte der Vermieterin in verschiedenen E-Mails im Wesentlichen einen „beschissenen/verschissenen Anfeindungscharakter“ sowie „perverse Anfeindungstendenzen“ und bezeichnete die Vermieterin als „feige Lästerin“, „Terroristin“ und „naziähnlichen braunen Misthaufen“, die er „in den Knast schicken“ und veranlassen würde, „seine Stiefel und die benutzte Windel“ der Beklagten „zu lecken“. Auch aufgrund weitergehender grober Beleidigungen kündigte die Vermieterin die Mietverhältnisse mit den Beklagten mehrfach außerordentlich.
Nach Auffassung des Bundesgerichtshofes müssen auch bei groben Pflichtverletzungen eines Mieters oder seines Erfüllungsgehilfen die schwerwiegenden persönlichen Härtegründe des Mieters Berücksichtigung finden. Insbesondere seien die Gerichte verfassungsrechtlich gehalten hinsichtlich der vorzunehmenden Interessenabwägung ihre Entscheidung auf eine tragfähige Grundlage zu stellen, wenn schwerwiegende Gesundheitsbeeinträchtigungen oder sogar Lebensgefahr drohe. Das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit dürfe zudem nicht erst im Vollstreckungsverfahren Beachtung finden, sondern habe bereits im Urteilsverfahren in die Urteilsfindung einzufließen.
Da das Berufungsgericht keine konkreten Feststellungen zum Vortrag der Beklagten getroffen hatte, wonach die Beklagte auf die Betreuung durch den Beklagten angewiesen sei und beim Wechsel der Betreuungsperson oder des Wohnraums schwerwiegende Gesundheitsschäden zu befürchten seien, hat der Bundesgerichtshof das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur Tatsachenfeststellung und Gesamtabwägung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Autor: Rechtsanwalt Sebastian Hohmann (ehem. Grassel)