Ein Rechtsgeschäft, welches für eine Leistung eine Gegenleistung vorsieht, die in einem auffälligen Missverhältnis hierzu steht und durch die eine Zwangslage, eine Unerfahrenheit, ein Mangel an Urteilsvermögen oder eine erhebliche Willensschwäche des Vertragspartners ausgenutzt wird, ist nichtig. Dieser sogenannte Wucher führt im Ergebnis dazu, dass aus einem gegenseitigen Vertrag keine Rechte mehr hergeleitet werden können.
Der Wucher hat jedoch nicht nur zivilrechtliche Bedeutung, sondern ist vielmehr auch strafrechtlich relevant. Denn Wucher kann mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft werden. Ob ein Schlüsselnotdienst sich bei einem Rechnungsbetrag in Höhe von etwa 320,00 € für eine Wohnungstüröffnung von lediglich einer Minute Dauer strafbar macht, hatte nunmehr das OLG Köln (Urteil vom 22.11.2016 – 1 RVs 210/16) zu entscheiden.
Im vorliegenden Fall hat das OLG Köln allerdings keine Strafbarkeit des Schlüsselnotdienstes gesehen. Zwar stelle das Ausgesperrtsein aus der eigenen Wohnung zunächst eine individuelle Schwächesituation dar, auch wenn die Frage der Bezahlung erst nach der Türöffnung erfolgt. Denn das Opfer stehe auch in dieser Situation unter einem erheblichen Belastungsdruck. Würde der Schlüsselnotdienst eine Türöffnung von einer vorhergehenden Bezahlung seiner Dienste abhängig machen, würde er (zusätzlich) den Tatbestand der Nötigung erfüllen.
Entscheidend für eine Strafbarkeit wegen Wuchers sei jedoch der Schweregrad der individuellen Schwächesituation. Soweit das Gesetz von einer „Zwangslage“ ausgehe, sei dies nicht jede und den Betreffenden in irgendeiner Weise belastende Situation. Stattdessen sei eine Auswirkung der Schwächesituation auf die Befindlichkeit bzw. Lebensführung des Opfers von einiger Dauer und Erheblichkeit erforderlich.
Eine solche Auswirkung läge im angeklagten Fall jedoch nicht vor. Denn vorliegend hatte zunächst auch ein Nachbar seine Hilfe angeboten, einen Schlüsselnotdienst zu verständigen. Es hätte an dem streitigen Samstagnachmittag somit die Möglichkeit bestanden, unter Inkaufnahme einer längeren Wartezeit, Angebote von mehreren Schlüsselnotdiensten einzuholen und zu vergleichen. Auch dass der Angeklagte bei Verständigung und vor Türöffnung keine konkrete Vergütung genannt hatte, sei nicht zu berücksichtigen. Es sei vielmehr Sache des Auftraggebers sich über die Höhe und Angemessenheit einer Vergütung zu informieren.
Nach Auffassung des OLG Köln führt nicht jedes bloße Ausgesperrtsein zu der erforderlichen Erheblichkeit. Für eine Zwangslage müssen hingegen weitere Umstände hinzukommen, beispielsweise Kinder oder andere Personen, die alters- oder krankheitsbedingt nicht zu einem eigenständigen Agieren in der Lage sind, in der Wohnung eingesperrt sind oder aufgrund eingeschalteter elektrischer Geräte Brandgefahr besteht sowie eine sonstige drängende Notsituation. Derartige Umstände waren vorliegend jedoch nicht gegeben, sodass ein Ausnutzen einer Zwangslage nicht gegeben sei. Auch die anderweitigen Tatbestandsvarianten, wie das Ausnutzen der Unerfahrenheit, der Mangel an Urteilsvermögen oder die ehebliche Willensschwäche seien nicht gegeben.
Bei der strafrechtlichen Auslegung der Tatbestandsmerkmale sei zudem der zivilrechtliche Schutz des Opfers zu beachten. Hiernach gilt, dass bei Fehlen einer Vergütungsabrede lediglich ein Anspruch des Auftragnehmers auf die übliche Vergütung besteht. Eine, zu einem späteren Zeitpunkt, einseitig verlangte höhere Vergütung ist nicht geschuldet. Darüber hinaus sei ein Wuchergeschäft ohnehin nichtig, sodass der Auftraggeber bei einer im Verhältnis zur Gegenleistung mehr als doppelt so hohen Leistung von seiner Leistungspflicht befreit sei.
Autor: Rechtsanwalt Hohmann