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Arbeitsrecht

Deutsche Gerichte bei Kündigung durch Luftverkehrsbetrieb aus Österreich zuständig (BAG, Urteil vom 29.05.2024 – 2 AZR 325/22)

By Arbeitsrecht

Bei einem Arbeitsverhältnis, bei dem der Betrieb seinen Sitz nicht in Deutschland hat, taucht immer wieder auch die Frage auf, welches Gericht zuständig ist und welches Recht Anwendung findet. Nicht alles, was hierzu im Arbeitsvertrag geregelt ist, findet dann auch Anwendung. Manches hat auch keine Wirkung; wie zumeist etwa eine Vereinbarung über den Gerichtsstand (welches Gericht ist örtlich zuständig).

In einem aktuellen Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG, Urt. v. 29. Mai 2024 – 2 AZR 325/22) wurde über die Frage der sozialen Rechtfertigung betriebsbedingter Kündigungen in einem Luftverkehrsbetrieb nach § 24 Abs. 2 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) gestritten. Die beklagte Arbeitgeberin hatte ihren Sitz in Österreich.

Das BAG bestätigte, dass die Zuständigkeit deutscher Gerichte ein Luftverkehrsbetrieb keine im Inland ansässige Leitung oder weitergehende Organisationsstruktur benötigt, solange die Gesamtheit der im Inland stationierten Luftfahrzeuge vorhanden ist. Der Kläger hatte gegen zwei Kündigungen geklagt, wobei die erste Kündigung vom 14. Juli 2020 aufgrund einer nicht durchgeführten Sozialauswahl als unwirksam erklärt wurde. Hingegen war die zweite Kündigung vom 10. September 2020, die im Kontext der Stilllegung des Flugbetriebs in Deutschland erfolgte, wirksam und sozial gerechtfertigt.

Ein wesentlicher Aspekt des Urteils war die Auslegung des Begriffs „Luftverkehrsbetrieb“ im Sinne des § 24 Abs. 2 KSchG. Das BAG stellte klar, dass für die Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes der Betrieb aus der Gesamtheit der im Inland stationierten Luftfahrzeuge besteht, ohne dass eine inländische Verwaltung notwendig ist. Die Beklagte hatte in der Revision vergeblich vorgebracht, dass ihre Flugzeuge weder in Deutschland registriert noch dauerhaft einem deutschen Flughafen zugeordnet seien. Das BAG hielt jedoch fest, dass eine dauerhafte Zuordnung von Flugzeugkontingenten an deutsche Flughäfen ausreicht, um den Betrieb als inländischen Luftverkehrsbetrieb zu qualifizieren.

Autor: Rechtsanwalt Tobias Michael

Geschäftlicher Kontakt zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber muss bei Bewertung nachweisbar sein (OLG Hamburg, Beschluss vom 08.02.2024 – 7 W 11/24)

By Arbeitsrecht, Internetrecht

In der digitalen Welt spielen Bewertungen in Online-Portalen eine entscheidende Rolle für das Image von Unternehmen. Gleichzeitig steht jedoch das Recht auf Meinungsäußerung der persönlichen Integrität und dem Unternehmenspersönlichkeitsrecht gegenüber. Umstritten ist bislang, inwieweit Betreiber von Arbeitgeber-Bewertungsportalen für die veröffentlichten Inhalte haften und welche Möglichkeiten Unternehmen haben, sich gegen ungerechtfertigte negative Bewertungen zu wehren. Für die Bewertung auf sonstigen Portalen hatte der BGH unter anderem den Grundsatz aufgestellt, dass eine Bewertung auf jeden Fall zur Voraussetzung hat, dass ein geschäftlicher Kontakt stattgefunden hat. So könne im Streitfall überprüft werden, ob eine vertragliche Beziehung bestanden hat. Ist dies aufgrund fehlender Erkennbarkeit des Bewerbers für den Bewerteten fraglich, kann dieser einen Löschungsanspruch gegenüber dem Portal geltend machen.

 

In der Entscheidung des OLG Hamburg vom 08.02.2024 ging es um ein Unternehmen mit etwa 22 Mitarbeitern. Dieses beantragte im Wege der einstweiligen Verfügung die Löschung von zwei negativen Bewertungen auf einer Bewertungsplattform, die von der Antragsgegnerin betrieben wird. Das Unternehmen argumentierte, dass zwischen ihr und den Bewertern kein geschäftlicher Kontakt stattgefunden habe. Das OLG gab der einstweiligen Verfügung statt. Es stützt sich auf die Grundsätze, die der Bundesgerichtshof für die Haftung von Betreibern von Bewertungsportalen entwickelt hat. Demnach ist es für den Portalbetreiber notwendig, bei einer konkreten Beanstandung einer Bewertung zu ermitteln, ob es einen tatsächlichen Kontakt zwischen Bewertendem und Bewertetem gab. Dies hatte das Portal aus verschiedenen Gründen abgelehnt. Insbesondere sei dies datenschutzrechtlich nicht möglich.

 

Nach der Entscheidung des OLG muss das Portal es nun unterlassen, dass die beanstandeten Bewertungen weiter zu sehen sind. Die Antragsgegnerin habe es versäumt, die Identität der Bewerter so zu individualisieren, dass die Antragstellerin das Vorliegen eines geschäftlichen Kontakts überprüfen konnte.  Auch der Einwand des Portals, aus Datenschutzgründen die Namen der Bewerter nicht nennen zu können, ließ das Gericht nicht gelten. Das Portal habe durch seine Tätigkeit als „Verbreiter“ das Risiko übernommen, die Quelle der Bewertung nennen zu dürfen oder nicht.

 

Autor: Rechtsanwalt Tobias Michael

 

  • Kostentragung und Verfahren:

Kein Homeoffice statt Kündigung (LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 24.3.2021 – 4 Sa 1243/20)

By Arbeitsrecht

Grundsätzlich bestimmt der Arbeitgeber in Bezug auf den Betrieb, wie dieser gestaltet ist und an welchem Ort sich der Betriebssitz befindet. Damit wird zunächst auch der Arbeitsort festgelegt. Im Rahmen einer unternehmerischen Entscheidung zur Änderug dieser Arbeitsbedingungen kann es zu einer Kündigung oder Änderungskündigung kommen. Spätestens im Rahmen der Interessenabwägung würden dann auch mögliche mildere Mittel des Arbeitgebers überprüft werden.

In einem Verfahren vor dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg war darüber zu entscheiden, ob Home-Office ein milderes Mittel sein kann (LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 24.03.2021 – 4 Sa 1243/20). In dem Verfahren hatte der Arbeitgeber den Arbeitsort von Berlin nach Wuppertal verlagert und eine Änderungskündigung ausgesprochen, in der der Klägerin die weitere Tätigkeit in Wuppertal angeboten wurde. Hiergegen klagte die Arbeitnehmerin mit dem Argument, dass sie ihre Tätigkeiten auch von zu Hause hätte erbringen können, da die Struktur bei der beklagten Arbeitgeberin hierfür ausreichend digitalisiert sei.

Das Arbeitsgericht Berlin gab der Klage noch statt und sah die Möglichkeit des Home-Office als ausreichend milderes Mittel an. Das Landesarbeitsgericht sah dies anders und wies die Klage ab. Bei der Frage einer Umstrukturierung handele es sich um eine unternehmerische Entscheidung, die nur auf Willkür hin überprüfbar sei. Die Arbeitgeberin habe nicht nur bestimmte Änderungen in der Arbeitsstruktur vorgenommen, sondern den gesamten Geschäftsbetrieb verlagert und in Wuppertal gebündelt. Damit sei der Arbeitsplatz der Klägerin weggefallen. In einem ähnlichen Verfahren hatte das Arbeitsgericht Köln eine Klage ebenfalls abgewiesen, die sich auf eine Tätigkeit im Home-Office als milderes Mittel bei einer Kündigung berufen hatte (ArbG Köln, Urt. v. 20.05.221 – 8 Ca 7667/20).

Autor: Rechtsanwalt Tobias Michael, LL.M.oec

Teilkündigung Home-Office rechtlich zulässig (LAG Hamm, Urt. v. 16.03.2023 – 18 Sa 832/22)

By Arbeitsrecht

Grundsätzlich ist die Arbeitsleistung an dem Arbeitsort zu erbringen, der vertraglich festgelegt ist. Gibt es mehrere Arbeitsorte, kann der Arbeitgeber unter Berücksichtigung billigen Ermessens gemäß § 106 GewO den Arbeitsort festlegen. Besondere Situationen, wie etwa die Corona-Krise, können zeitweilig einen gesetzlichen Anspruch auf einen anderen Arbeitsort, wie etwa das Home-Office, mit sich bringen. Grundsätzlich aber müssen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer vertraglich darauf verständigen, dass die Arbeitsleistung ganz oder teilweise im Home-Office erbracht wird.

Unlängst hatte sich das Landesarbeitsgericht Hamm mit der Frage zu beschäftigen, ob ein Kündigungsrecht in einer Zusatzvereinbarung „Homeoffice“ angemessen sei (LAG Hamm, Urt. v. 16.03.2023 – 18 Sa 832/22). In dem Verfahren hatten sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer in einer Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag darauf verständigt, dass der Arbeitnehmer seine Arbeit im Home-Office erbringen kann. In der Vereinbarung war auch geregelt, dass mit einer Frist von einem Monat beide Seiten die Zusatzvereinbarung kündigen können. Als der Arbeitgeber von seinem Kündigungsrecht Gebrauch machte, klagte der Arbeitnehmer dagegen.

Das Arbeitsgericht Rheine gab der Klage statt. Das LAG Hamm hob diese Entscheidung auf und wies die Klage ab. Die Vereinbarung des Teilkündigungsrechts (Kündigung der Zusatzvereinbarung) gäbe keine Anhaltspunkte für Unbilligkeitsaspekte. Im Rahmen des § 106 GewO müsse der Arbeitgeber ohnehin immer auch Belange des Arbeitnehmers berücksichtigen. Dieses, dort festgelegte, billige Ermessen schütze den Arbeitnehmer ausreichend.

Autor: Rechtsanwalt Tobia Michael, LL.M.oec

Arbeitszeiterfassung verpflichtend (BAG, Beschl.v.13.09.2022 – 1 ABR 22/21)

By Arbeitsrecht

Die Frage der Arbeitszeiterfassung ist in Deutschland gesetzlich nicht festgelegt. Zumindest dort, wo ein Betriebsrat besteht, gibt es gemäß § 87 Abs.1 Nr.6 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) ein Mitspracherecht, wenn eine Zeiterfassung eingeführt werden soll; …“ Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen“.

Anlass für ein aktuelles Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht war der Streit zwischen einem Arbeitgeber und dem Betriebsrat, ob der Betriebsrat nur dann zu beteiligen ist, wenn der Arbeitgeber ein Zeiterfassungssystem einführt, oder ob der Betriebsrat ein solches Zeiterfassungssystem sogar selbst einfordern kann (BAG, Beschl. v. 13.09.2022 – 1 ABR 22/21). Ein solches Initiativrecht war umstritten; die Rechtsprechung dementsprechend uneinheitlich. Nach der „Stechuhr-Entscheidung“ des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urt. 14.05.2019 – C-55/19) lag es jedenfalls nahe, dass eine solche Pflicht des Arbeitgebers auch vom Betriebsrat durchgesetzt werden kann.

In dem aktuellen Verfahren versagte das BAG dem Betriebsrat zwar das Initiativrecht. Allerdings nur deswegen, weil es das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) mit § 3 Nr.1 als ausreichende Grundlage für eine Verpflichtung des Arbeitgebers ansieht, die Arbeitszeit zu erfassen. Dort heißt es:

  • 3 Grundpflichten des Arbeitgebers

(1) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen. Er hat die Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen und erforderlichenfalls sich ändernden Gegebenheiten anzupassen. Dabei hat er eine Verbesserung von Sicherheit und Gesundheitsschutz der Beschäftigten anzustreben.

(2) Zur Planung und Durchführung der Maßnahmen nach Absatz 1 hat der Arbeitgeber unter Berücksichtigung der Art der Tätigkeiten und der Zahl der Beschäftigten

  1. für eine geeignete Organisation zu sorgen und die erforderlichen Mittel bereitzustellen sowie
  2. Vorkehrungen zu treffen, daß die Maßnahmen erforderlichenfalls bei allen Tätigkeiten und eingebunden in die betrieblichen Führungsstrukturen beachtet werden und die Beschäftigten ihren Mitwirkungspflichten nachkommen können.

Mit dieser Entscheidung kommt das Bundesarbeitsgericht dem Gesetzgeber in Bezug auf eine Regelung zur Arbeitszeiterfassung zuvor und verpflichtet zukünftig jeden Arbeitgeber zur Zeiterfassung. Derzeit liegt die Entscheidung des BAG nur als Pressemitteilung vor. Mit Spannung werden die Entscheidungsgründe erwartet, aus denen sich möglicherweise noch weitere Vorgaben für die Arbeitszeiterfassung ergeben.

Auswirken wird die Entscheidung jedenfalls nicht nur in Bezug auf die Gestaltung der Arbeitszeit, sondern wahrscheinlich auch im Hinblick auf die Geltendmachung von Überstunden. Insoweit war und ist bislang der Angestellte in der Pflicht, diese konkret zeitlich und inhaltlich zu benennen und zu beweisen. Dies dürfte zukünftig mit der Arbeitszeiterfassung einfacher werden.

 

Autor: Rechtsanwalt Tobias Michael

Blutgerinnungsstörung hindert Polizeidienst (VG Koblenz, Beschl. v. 30.08.2022 – 5 L 797/22)

By Arbeitsrecht

Wer als Polizeianwärter in den Polizeidienst übernommen werden möchte, muss neben der charakterlichen Eignung auch über die notwendige körperliche Eignung verfügen. Dieser Eignung können Krankheiten entgegenstehen.

In einem aktuellen Eilverfahren vor dem Verwaltungsgericht Koblenz, hatte das Gericht darüber zu entscheiden, ob eine Blutgerinnungsstörung der Eignung für den Polizeidienst entgegensteht (VG Koblenz, Beschl. v. 30.08.2022 – 5 L 797/22). Die Antragstellerin hatte sich für den Bildungsgang „Polizeidienst und Verwaltung“ an der höheren Berufsfachschule für Polizeidienst beworben. Die Bewerberin litt an einer Blutgerinnungsstörung mit einem fünf- bis zehnfach erhöhten Thromboserisiko. Die Berufsschule lehnte die Bewerberin ab. Diese sei aufgrund der Gerinnungsstörung polizeidienstuntauglich.

Die Antragstellerin versuchte, die Entscheidung im Eilverfahren aufheben zu lassen. Das Verwaltungsgericht lehnte dies ab und begründete die Entscheidung vor allem mit der Polizeidienstvorschrift zur ärztlichen Beurteilung der Polizeidiensttauglichkeit. Darin sei festgelegt, dass eine Krankheit, wie sie bei der Antragstellerin vorliege, die Polizeidiensttauglichkeit grundsätzlich ausschließe. Die hohe körperliche Beanspruchung im Polizeidienst verlange eine jederzeit gewährleistete, uneingeschränkte körperliche Einsetzbarkeit. Dies sei mit der Erkrankung der Antragstellerin nicht gegeben.

Autor: Rechtsanwalt Tobias Michael

Neuerungen nach dem Nachweisgesetz (und weiteren Gesetzen)

By Arbeitsrecht

Gesetzänderungen bei Nachweisgesetz NachwG), Arbeitnehmerüberlassung (AÜG), Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG), Berufsbildungsgesetzes (BBiG) sowie Gewerbeordnung (GewO)

Bundestagsdrucksache 20/1636 in Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/1152

Im Zuge der Umsetzung der obigen Richtlinie hat der deutsche Gesetzgeber kurz vor dem Ablauf der Umsetzungsfrist noch einige Änderungen im Nachweisgesetz und weiteren Gesetzen beschlossen. Den wirtschaftlichen Mehraufwand sieht der Gesetzgeber eher gering. Seiner Schätzung nach erfüllen bereits 80-90% der Arbeitgeber die Pflichten (eher umgekehrt) und der Zeitaufwand für die Anpassungen wird mit 3 Minuten kalkuliert! Das dürfte eher nicht realistisch sein.

Die wesentlichen Änderungen sind nachfolgend überblicksartig aufgeführt.

Änderungen nach dem Nachweisgesetz ab 01.08.2022

 

Frist zur Niederlegung und Aushändigung der Vertragsbedingungen

       § 2 Satz 1 NachwG: Schriftformerfordernis! Wird dies nicht eingehalten, droht bereits allein deswegen ein Bußgeld

  • § 2 I S.4 NachwG neu eingefügt => differenziert Fristen für die Aushändigung von Informationen
  • § 2 I S.1 NachwG
    • Niederschrift mit Informationen ist spätestens am ersten Tag der Arbeitsleistung auszuhändigen
      • Angaben nach Satz 2 Nummern 1, 7, 8
        • Name und Anschrift der Vertragsparteien
        • Zusammensetzung und Höhe des Arbeitsentgelts
          • Vergütung von Überstunden
          • Zuschläge
          • Zulagen,
          • Prämien
          • Sonderzahlungen sowie
          • anderer Bestandteile des Arbeitsentgelts, die jeweils getrennt anzugeben sind sowie deren Fälligkeit und die Art der Auszahlung
        • vereinbarte Arbeitszeit
          • vereinbarte Ruhepausen und Ruhezeiten
          • bei Schichtarbeit
            • Schichtsystem
            • Schichtrhythmus
            • Voraussetzungen für Schichtänderungen
          • Niederschrift mit Informationen ist spätestens am siebten Kalendertag nach Beginn der Arbeitsleistung auszuhändigen
            • Angaben nach Satz 2 Nummern 2, 3, 4, 5, 6, 9
              • Zeitpunkt des Beginns des Arbeitsverhältnisses
              • bei befristeten Arbeitsverhältnissen: das Enddatum / vorhersehbare Dauer des Arbeitsverhältnisses
              • Arbeitsort / ggf. Hinweis auf freie Wahl des Arbeitsortes durch den Arbeitnehmer
              • kurze Charakterisierung / Beschreibung der zu leistenden Tätigkeit
              • sofern vereinbart die Dauer der Probezeit
              • bei Arbeit auf Abruf nach § 12 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes:
                • Erbringung der Arbeitsleistung entsprechend dem Arbeitsanfall
                • Zahl der mindestens zu vergütenden Stunden
                • Zeitrahmen (Referenztage und Referenzstunden) für die Erbringung der Arbeitsleistung
                • die Frist, innerhalb derer der Arbeitgeber die Lage der Arbeitszeit im Voraus mitzuteilen hat
              • Möglichkeit der Anordnung von Überstunden und deren Voraussetzungen
            • Niederschrift mit Informationen ist spätestens einen Monat nach Beginn der Arbeitsleistung auszuhändigen
              • Angaben nach Satz 2 Nummern 11 bis 15
                • Dauer des jährlichen Erholungsurlaubs
                • Etwaiger Anspruch auf vom Arbeitgeber bereitgestellte Fortbildung
                • wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine betriebliche Altersversorgung über einen Versorgungsträger zusagt: Name und Anschrift dieses Versorgungsträgers
                • Kündigungsverfahren
                  • mindestens das Schriftformerfordernis
                  • Fristen für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses,
                  • Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage;
                    • Die dreiwöchige Ausschlussfrist des § 7 KSchG auch bei nicht ordnungsgemäßem Nachweis der Mitteilung der Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage anzuwenden!
                      • Verstöße werden durch Bußgeld, nicht durch Unwirksamkeit der Kündigung sanktioniert. Keine Zulassung verspäteter Kündigungsschutzklagen
                    • Hinweis auf
                      • anwendbare Tarifverträge
                      • Betriebs- oder Dienstvereinbarungen
                      • Regelungen paritätisch besetzter Kommissionen, die auf der Grundlage kirchlichen Rechts Arbeitsbedingungen für den Bereich kirchlicher Arbeitgeber festlegen

Änderung der Vertragsbedingungen

§ 3 NachwG

    • Fristverkürzung
    • Mitteilung an den Arbeitnehmer über jede Änderung der wesentlichen Vertragsbedingungen
      • spätestens an dem Tag, an dem sie wirksam wird
      • schriftlich (s.o.)
    • Ausnahme (keine Mitteilungspflicht) bei Änderungen von
      • auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren gesetzlichen Vorschriften
      • Tarifverträge, Betriebs- oder Dienstvereinbarungen
      • Regelungen paritätisch besetzter Kommissionen, die auf der Grundlage kirchlichen Rechts Arbeitsbedingungen für den Bereich kirchlicher Arbeitgeber festlegen

 

Auslandstätigkeit

               § 2 Abs.2 NachwG

              wenn länger als vier aufeinanderfolgende Wochen Auslandstätigkeit, erweiterte Unterrichtungspflichten

anzugeben sind Land der Leistungserbringung, geplante Dauer, mit dem Aufenthalt verbundene Geld- oder Sachleistungen, voraussichtliche Rückkehr, Rückkehrbedingungen

 

Sanktionen bei Pflichtverletzungen

         § 4 I NachwG: Tatbestand

    • § 2 I S.1 eine in § 2 I S.2 genannte wesentliche Vertragsbedingung nicht, nicht richtig, nicht vollständig, nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig niederlegen
    • entgegen § 2 II, auch i.V.m. III, eine dort genannte Niederschrift nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig bereitstellen
    • entgegen § 3 S.1 eine Mitteilung nicht, nicht richtig, nicht vollständig, nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig machen
  • § 4 II NachwG: Rechtsfolge
    • Geldbuße
    • Höchstmaß: bis zu 2.000,00 €
    • Bußgeldbemessung unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse gemäß § 17 III S.2 HS. 1 OWiG
      • wirtschaftliche Situation von kleinen und mittleren Unternehmen besonders einbeziehen
    • keine Ausnahme mehr für Aushilfen

Bereits vor der Änderung des Nachweisgesetzes wurde in der Rechtsprechung diskutiert, dass ein ungenügender Hinweis auf für das Arbeitsverhältnis geltende Normen, nicht zu Lasten des Mitarbeiters gehen sollten (z.B. einfacher (pauschaler) Verweis auf Geltung kollektivrechtlicher Normen, etwa eines Tarifvertrages mit Ausschlussfristen)

  

Übergangsbestimmungen für Beschäftigung vor dem 01.08.2022 

  • § 5 NachwG: Übergangsvorschrift
  • Bestand das Arbeitsverhältnis bereits bei Inkrafttreten dieses Gesetzes vor dem 08.2022
    • Arbeitnehmer nur auf dessen Verlangen eine Niederschrift i.S.d. § 2 auszuhändigen
    • Spätestens am siebten Tag nach Zugang der Aufforderung beim Arbeitgeber => Niederschrift mit den Angaben nach § 2 I S.2 Nr. 1 bis 10 NachwG auszuhändigen
    • Niederschrift mit den übrigen Angaben nach § 2 I S.2 NachwG ist spätestens einen Monat nach Zugang der Aufforderung auszuhändigen
    • Fristbeginn: Zugang der Aufforderung
      • Enthält eine früher ausgestellte Niederschrift oder ein schriftlicher Arbeitsvertrag die nach diesem Gesetz erforderlichen Angaben entfällt die Pflicht

 

Änderungen bei Arbeitnehmerüberlassung ab 01.08.2022

In § 11 werden die Nachweispflichten über die Identität des Entleihers erweitert:

  • danach vor jeder Überlassung der Firmenname und Anschrift des Entleihers in Textform mitzuteilen
  • Entleiher muss bei Arbeitnehmern, die nach 6 Monaten Tätigkeit einen Abschluss des Arbeitsvertrages wünschen, innerhalb eines Monats eine begründete Antwort zukommen lassen

 

Änderungen bei Teilzeit- und Befristung ab 01.08.2022

  • Bei einer etwaigen Probezeit muss die Dauer in einem angemessenen Verhältnis zwischen Dauer der Befristung und Art der Tätigkeit stehen
  • ein befristet Beschäftigter kann nach 6 Monaten Tätigkeit den Wunsch nach einem unbefristeten Beschäftigungsverhältnis äußern; Arbeitgeber muss innerhalb eines Monats mit begründeter Antwort reagieren

 

Änderungen im Berufsbildungsgesetz ab 01.08.2022

In § 11 werden verschiedene Punkte neu geregelt

  • Name und Anschrift der Ausbilder sowie Auszubildenden, bei Minderjährigen zusätzlich Name und Anschrift der gesetzlichen Vertreter bezeichnet werden
  • Zahlung und Höhe der Vergütung sowie deren Zusammensetzung
  • Vergütung oder Ausgleich von Überstunden

 

Änderungen in der Gewerbeordnung ab 01.08.2022

  • 111 wird wie folgt gefasst:

Pflichtfortbildungen
(1) Ist der Arbeitgeber durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes, durch Tarifvertrag oder Betriebs- oder Dienstvereinbarung verpflichtet, dem Arbeitnehmer eine für
die Erbringung der Arbeitsleistung erforderliche Fortbildung anzubieten, dürfen dem
Arbeitnehmer die Kosten hierfür nicht auferlegt werden.
(2) Fortbildungen nach Absatz 1 sollen während der regelmäßigen Arbeitszeit
durchgeführt werden. Soweit Fortbildungen nach Absatz 1 außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit durchgeführt werden müssen, gelten sie als Arbeitszeit.

 

Wie kann reagiert werden?

Bei bestehenden Arbeitsverhältnissen ist die 7-Tage-Frist sehr anspruchsvoll. Am besten Muster vorhalten.

Änderungen in gesondertem Zusatz zum bestehenden Arbeitsvertrag schriftlich aushändigen oder bestehenden Arbeitsvertrag neu fassen.

Betriebsbesichtigung kann versichert sein (BSG, Urt. v. 31.03.2022 – B 2 U 13/20 R)

By Arbeitsrecht

Wenn ein neues Arbeitsverhältnis eingegangen werden soll, wird nicht selten vom neuen Arbeitgeber erwartet, dass eine Probearbeit geleistet wird. Der Schwerpunkt weniger auf einer Tätigkeit des Bewerbers als auf einer Betriebsführung, wird dies auch gern mal als „Kennenlern-Praktikum“ bezeichnet. Neben arbeitsrechtlichen Problematiken – Tätigkeit bei Fremd-/Konkurrenzunternehmen – stellt sich auch immer die Frage nach dem Versicherungsschutz.

Für die Frage der Probearbeit hatte unter anderem das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt im Jahr 2018 entschieden, dass auch eine unentgeltliche Probearbeit versichert ist, wenn objektiv zu dieser Zeit und an diesem Ort wird weniger Arbeit verrichtet wird und der Unternehmer diesbezüglich ein konkludent vereinbartes Weisungsrecht hat. Das private Interesse an der Erlangung des Arbeitsplatzes sei unerheblich (LSG LSA, Urt. v. 14.12.2017 – L 6 U 82/15).

In einer aktuellen Entscheidung hatte das Bundessozialgericht darüber zu entscheiden, ob bei einem eintägigen, unentgeltlichen „Kennenlern-Praktikum“ ein Versicherungsschutz in der Unfallversicherung besteht (BSG, Urt. v. 31.03.2022 – B 2 U 13/20 R). Der arbeitssuchenden Klägerin wurde am Tag des „Praktikums“ verschiedene Teile des Unternehmens gezeigt und teilweise fand auch ein fachlicher Austausch statt. Hierbei stürzte die Klägerin und brach sich den Arm. Die Klägerin forderte Leistungen von der Berufsgenossenschaft, was diese ablehnte.

Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab. Das BSG gab der Klage statt. Die Beklagte Berufsgenossenschaft hatte ausnahmsweise auch eine Unternehmensbesichtigung gemäß ihrer Satzung versichert. Unerheblich sei, dass die Klägerin ein eigenes Interesse am Kennenlernen des zukünftigen potentiellen Arbeitgebers gehabt habe. Der Unternehmer soll umfassend von Haftungsrisiken befreit werden, die durch eine Besichtigung entstehen können.

Autor: Rechtsanwalt Tobias Michael

Urlaubskürzung bei Kurzarbeit (BAG, Urt. v. 30.11.2021 – 9 AZR 225/21)

By Arbeitsrecht

In Zeiten der Pandemie wurde vielfach Kurzarbeit in den Betrieben eingeführt. Hierzu wurde, wenn nicht im Arbeits- oder Tarifvertrag oder durch Betriebsvereinbarung die Möglichkeit der Anordnung von Kurzarbeit vereinbart war, häufig eine separate Vereinbarung abgeschlossen. Dies konnte auch Kurzarbeit Null bedeuten, wonach keine Arbeitsleistung zu erbringen ist und der Arbeitslohn vollständig auf das Kurzarbeitergeld reduziert ist. Für die arbeitsrechtliche Praxis stellte sich die Frage, ob bei Kurzarbeit null nicht auch der Urlaubsanspruch vermindert ist. Denn letztlich entsteht der Urlaubsanspruch auch für Zeiten der Krankheit oder Elternzeit.

In einem aktuellen Verfahren hatte das Bundesarbeitsgericht diese Frage der Kürzung des Urlaubsanspruchs zu entscheiden (BAG, Urt. v. 30.11.2021 – 9 AZR 225/21). Die Klägerin hatte in der Zeit von April bis Dezember 2020 Kurzarbeit vereinbart. Im April, Mai und Oktober war Kurzarbeit Null angeordnet. Für diese Zeit kürzte der Arbeitgeber den Urlaub anteilig.

Das BAG entschied zugunsten des Arbeitgebers und bestätigte die Vorinstanzen. Diese hatten insbesondere auf Art.7 Abs.1 der Richtlinie 2003/88/EG abgestellt. Hiernach erwerbe ein Arbeitnehmer nur für Zeiten der tatsächlichen Arbeitsleistung Urlaubsansprüche. Das BAG verwies auch auf eine Entscheidung des EuGH, in der dieser klargestellt hatte, dass die Entstehung des Urlaubsanspruchs voraussetze, dass eine Tätigkeit Erholungsurlaub notwendig mache.

In einem Parallelverfahren stellte der 9. Senat klar, dass diese Grundsätze auch dann Anwendung finden, wenn Kurzarbeit aufgrund einer wirksamen Betriebsvereinbarung eingeführt worden sei (BSG, Urt. v. 30.11.2021 – 9 AZR 234/21).

Anmerkungen: Voraussetzung für die Kürzung des Urlaubs wird sein, dass eine wirksame Vereinbarung zur Einführung von Kurzarbeit vorliegt. Hier dürfte wieder neuer Streitstoff liegen, der vor den Arbeitsgerichten auszufechten ist.

Autor: Rechtsanwalt Tobias Michael

Diskriminierung bei formal unrichtiger Stellenausschreibung (BAG, Urt. v. 25.11.2021 – 8 AZR 313/20)

By Arbeitsrecht

Bei Verstößen gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) kann gemäß § 15 Abs.2 AGG ein Anspruch auf eine angemessene Entschädigung bestehen. Im Streitfall genügt es gemäß § 22 AGG für den Anspruch zunächst, dass die benachteiligte Partei lediglich die Indizien beweist, die eine Benachteiligung vermuten lassen.

In einem aktuellen Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht war darüber zu entscheiden, ob bereits Indizien einer Diskriminierung gegeben sind, wenn die Stellenausschreibung nicht der zuständigen Agentur für Arbeit gemeldet wird (BAG, Urt. v. 25.11.2021 – 8 AZR 313/20). Geklagt hatte ein schwerbehinderter Jurist mit einem GdB von 50. Der beklagte Landkreis lehnte die Bewerbung ab und teilte mit, dass man sich für einen anderen Bewerber entschieden habe. Der Jurist sah sich diskriminiert und klagte auf eine Entschädigung gemäß § 15 Abs.2 AGG.

Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab. Das BAG gab hingegen dem Bewerber recht. Der beklagte Landkreis habe entgegen § 165 Satz 1 SGB IX die ausgeschriebene Stelle nicht der zuständigen Agentur für Arbeit gemeldet. Die Veröffentlichung des Stellenangebots lediglich über die Jobbörse der Bundesagentur für Arbeit sei keine solche Meldung. Auch ein solcher Verstoß gegen formelle Anforderungen begründe die Vermutung aus § 22 AGG, dass eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung vorliege.

Autor: Rechtsanwalt Tobias Michael

Betriebsratswahl ist durchzuführen (LAG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 23.11.2021 – 13 TaBVGa 1534/21)

By Arbeitsrecht

Die Gründung eines Betriebsrats stößt beim Arbeitgeber selten auf Freude, wenngleich kollektive Regeln im Unternehmen Abläufe auch verbessern können. Oft wird daher bei einer Betriebsratswahl zu eher fragwürdigen Mitteln gegriffen, wenn diese verhindert werden soll. Gerichtlich lässt sich eine Betriebsratswahl im Vorhinein kaum stoppen.

In einem aktuellen Fall vor dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg war darüber zu entscheiden, ob der Abbruch einer Betriebsratswahl bei schwerwiegenden Verstößen möglich ist (LAG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 23.11.2021 – 13 TaBVGa 1534/21). Bei dem Fahrradlieferdienst „Gorillas“ hatte sich bereits der Wahlvorstand für die Betriebsratswahl gegründet. Die Unternehmensleitung sah formelle Fehler und beantragte beim Arbeitsgericht Berlin im Wege der einstweilen Verfügung, dass die Betriebsratswahl abgebrochen wird. Insbesondere sei der Wahlvorstand aufgrund von Umstrukturierungen nicht für alle Beschäftigten zuständig, die zur Wahl aufgerufen worden seien.

Das Arbeitsgericht Berlin und auch das LAG wiesen den Antrag zurück. Gerichtlich könne die Betriebsratswahl nur abgebrochen werden, wenn der Wahlvorstand bei Einleitung der Wahl offensichtlich nicht im Amt war oder die Mängel im Wahlverfahren zu einer nichtigen Wahl führen würden. Bei allen anderen Konstellationen müsse der Arbeitgeber abwarten und könne erst nach der Wahl diese anfechten.

Autor: Rechtsanwalt Tobias Michael

Schwerbehindertenvertretung kann vorzeitig enden (LAG Köln, Beschl. v. 31.08.2021 – 4 TaBV 19/21)

By Arbeitsrecht

Gemäß § 177 SGB IX werden in Betrieben und Dienststellen wenigstens fünf Schwerbehinderte Menschen nicht nur vorübergehend beschäftigt, wird dort eine Schwerbehindertenvertretung eingerichtet. Diese besteht aus einer Vertrauensperson und mindestens einem stellvertretenden Mitglied.

In einem aktuellen Verfahren vor dem Landesarbeitsgericht Köln war nun die Frage zu klären, welches Schicksal die Schwerbehindertenvertretung hat, wenn die Zahl der Schwerbehinderten unter fünf sinkt (LAG Köln, Beschl. v. 31.08.2021 – 4 TaBV 19/21). In dem Verfahren sah die Arbeitgeberin die Amtszeit der Schwerbehindertenvertretung als beendet an, als der Schwellenwert von fünf schwerbehinderten Mitarbeitern unterschritten war. Hiergegen wendete sich die Vertrauensperson.

Das LAG bestätigte die Entscheidung des Arbeitsgerichts und gab der Arbeitgeberin Recht. Der Grundsatz aus dem Betriebsverfassungsrecht, dass bei Absinken der Beschäftigtenzahl auch die Amtszeit des Betriebsrats ende, sei auf die Schwerbehindertenvertretung übertragbar. Hierfür spreche auch die Systematik sowie Sinn und Zweck des Gesetzes.

Autor: Rechtsanwalt Tobias Michael

elektronische Form keine wirksame Befristung (ArbG Berlin, Urt. v. 28.09.2021 – 36 Ca 15296/20)

By Arbeitsrecht

Gemäß § 14 Abs.4 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) bedarf die wirksame Befristung eines Arbeitsverhältnisses der Schriftform. Schriftform meint dabei das handschriftliche Unterzeichnen beider (!) Parteien auf demselben Dokument. In der modernen Arbeitswelt wird häufig versucht, solche Prozesse in elektronischer Form abzukürzen.

In einem aktuellen Verfahren hatte das Arbeitsgericht Berlin darüber zu entscheiden, ob die elektronische Form die gesetzlich vorgesehene Schriftform ersetzen kann (ArbG Berlin, Urt. v. 28.09.2021 – 36 Ca 15296/20). In dem Verfahren hatten Arbeitgeberinnen und Arbeitnehmer einen befristeten Arbeitsvertrag unter Verwendung einer elektronischen Signatur abgeschlossen. Als die Befristung auslief klagte der Arbeitnehmer auf Entfristung.

Das Arbeitsgericht entschied, dass die einfache elektronische Signatur die Schriftform nicht ersetze. Nur bei einer von der Bundesnetzagentur zertifizierten, qualifizierten elektronischen Signatur nach § 126a BGB könne von einem ausreichenden Ersatz einer Schriftform ausgegangen werden. Dementsprechend wurde der Entfristungsklage stattgegeben.

Autor: Rechtsanwalt Tobias Michael

Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten (BAG, Beschluss vom 28.10.2021 – 8 AZR 370/20)

By Arbeitsrecht

Die zu erbringende Arbeitszeit ist meist im Arbeitsvertrag festgelegt. Finden sich dort keine Angaben, ist grundsätzlich von einer 40-Stunden-Woche auszugehen. Anderenfalls wird die Arbeitszeit nach der betriebsüblichen Arbeitszeit ermittelt. Für Vollzeit- wie Teilzeitbeschäftigte ergibt sich damit auch, ab welchem Zeitpunkt Überstunden entstehen. Überstunden sind in Freizeit oder Geld auszugleichen. Zuschläge gibt es ohne besondere Regelung nicht. Einzelheiten hierzu können etwa durch einen Tarifvertrag geregelt werden.

In einem aktuellen Verfahren hatte das Bundesarbeitsgericht dem Europäischen Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob ein Zuschlag zu einer Überstundenvergütung davon abhängen darf, ob jemand in Vollzeit oder in Teilzeit beschäftigt ist (BAG, Beschluss vom 28.10.2021 – 8 AZR 370/20). Konkret ging es um einen Manteltarifvertrag, nach dem Überstunden bei Teilzeitbeschäftigten mit einem Zuschlag von 30% vergütet werden, wenn die Arbeitsleistung die Kalender monatliche Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers überschreitet. Alternativ war eine Zeitgutschrift auf dem Arbeitszeitkonto vorgesehen.

Die Klägerin verlangte eine Zeitgutschrift und eine Entschädigung wegen einer Diskriminierung nach § 15 Abs.2 AGG. Das Landesarbeitsgericht sprach eine Gutschrift auf dem Arbeitszeitkonto zu, versagte aber eine Entschädigung. Das Bundesarbeitsgericht hat das Verfahren nunmehr ausgesetzt und dem EuGH die Frage vorgelegt, ob mit der Regelung im Manteltarifvertrag eine unzulässige Ungleichbehandlung vorliege.

Autor: Rechtsanwalt Tobias Michael

Aussetzung des Verfahrens nur ausnahmsweise (LAG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 6.10.2021 – 11 Ta 1120/21)

By Arbeitsrecht

Es kann vorkommen, dass in einer Streitigkeit verschiedene Verfahren parallel laufen. So etwa, wenn gegen eine Kündigung vor dem Arbeitsgericht geklagt wird und parallel ein Strafverfahren läuft. Häufig ist auch die Konstellation von Kündigungsschutzprozess und Rechtsmitteln gegen die Entscheidung des Integrationsamtes bei der Kündigung Schwerbehinderter. In einer solchen Konstellation kann das Arbeitsgericht gemäß § 148 ZPO entscheiden, dass der Prozess über die Kündigung so lange ausgesetzt wird, bis über die andere Streitigkeit entschieden ist.

In einem aktuellen Verfahren hatte das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg darüber zu entscheiden, ob wegen des Verdachts von Tötungsdelikten ein Kündigungsrechtsstreit ausgesetzt wird (LAG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 6.10.2021 – 11 Ta 1120/21). Die Arbeitgeberin ist eine Einrichtung, die Teilhabeleistungen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Behinderungen anbietet. Gegen die fristlos gekündigte Klägerin liefen strafrechtliche Ermittlungen wegen des Verdachts, vier Tötungsdelikte begangen zu haben. Gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts Potsdam, das Kündigungsverfahren wegen der Frage der strafrechtlichen Ermittlungen zur Schuldfähigkeit auszusetzen, erhob die Arbeitgeberin sofortige Beschwerde.

Das LAG folgte der Arbeitgeberin und hob den Beschluss des Arbeitsgerichts auf. Ein Aussetzungsgrund sei nur gegeben, wenn die strafrechtlichen Ermittlungen maßgeblich für die Entscheidung des Arbeitsgerichts seien. Bei dem Vorwurf eines Tötungsdelikts wie hier fehle die Eignung für die Tätigkeit auch unabhängig davon, ob sie schuldfähig gewesen sei oder nicht. In jedem Fall sei eine weitere Zusammenarbeit mit der Mitarbeiterin weder der Arbeitgeberin noch den weiteren Beschäftigten zumutbar.

Autor: Rechtsanwalt Tobias Michael

Der Arbeitgeber bestimmt den Arbeitsort (ArbG München, Urt. v. 27.08.2021 – 12 Ga 62/21)

By Arbeitsrecht

Sofern sich nicht aus dem Gesetz, dem Arbeitsvertrag, einem Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung etwas anderes ergibt, ist der Arbeitgeber berechtigt, den Arbeitsort festzulegen. Gemäß § 106 GewO hat dies nach billigem Ermessen zu erfolgen.

In einem aktuellen Verfahren vor dem Arbeitsgericht München ging es um die Frage, ob sich aus dem billigen Ermessen eine Verpflichtung des Arbeitgebers für ein Home-Office im Ausland ableiten lässt (ArbG München, Urt. v. 27.08.2021 – 12 Ga 62/21). Die Klägerin hatte pandemiebedingt ihre Arbeit seit Juni 2020 ohne Probleme aus dem Home-Office in München heraus erledigt. Anfang Mai 2021 beantragte die Klägerin, ihr Home-Office für einen Monat in der Schweiz auszuüben. Dies lehnte die Beklagte ab. Die mit der Arbeit außerhalb der EU verbundenen Besonderheiten im Sozialrecht usw. seien zu kostenintensiv. Daraufhin beantragte die Klägerin eine einstweilige Verfügung.

Das Arbeitsgericht wies den Antrag ab. Die von der Klägerin begehrte Tätigkeit löse Klärungsbedarf in ausländischem und internationalem Recht aus. Die Klärung dieser Fragen auf Kosten der Arbeitgeberin könne die Klägerin nicht verlangen.

Autor: Rechtsanwalt Tobias Michael

 

IT-Support ist keine wissenschaftliche Tätigkeit bei Befristung (BAG, Urt. v. 30.06.2021 – 7 AZR 245/20)

By Arbeitsrecht

Die Zulässigkeit der Befristung von Arbeitsverträgen richtet sich zumeist nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz. Besonderheiten enthält das Gesetz über befristete Arbeitsverträge in der Wissenschaft (WissZeitVG). Dieses Gesetz regelt, wie Arbeitsverträge für das wissenschaftliche und künstlerische Personal an staatlichen Hochschulen und Forschungseinrichtungen zeitlich befristet werden können. Nach § 6 Satz 1 WissZeitVG sind befristete Arbeitsverträge zur Erbringung wissenschaftlicher oder künstlerischer Hilfstätigkeiten mit Studierenden…bis zur Dauer von insgesamt sechs Jahren zulässig.

Unlängst hatte das Bundesarbeitsgericht darüber zu urteilen, inwieweit eine Tätigkeit im IT-Servicebereich wissenschaftliche Hilfstätigkeit sein kann (BAG, Urt. v. 30.06.2021 – 7 AZR 245/20). Die Klägerin war Informatikstudentin und hatte mit der Universität währenddessen ein sechsjähriges befristetes Arbeitsverhältnis. Dabei unterstützte sie alle universitären Einrichtungen beim Einsatz digitaler Medien und Technologien, insbesondere in technischer Hinsicht. Als das Arbeitsverhältnis nicht verlängert wurde, klagte die Studentin auf Feststellung, dass ein unbefristetes Arbeitsverhältnis bestehe.

Die Klägerin hatte in allen Instanzen Erfolg. Das BAG bestätigte, dass die Tätigkeit in dem Arbeitsverhältnis keine wissenschaftliche Hilfstätigkeit gewesen sei. Vielmehr habe die Klägerin Nutzern digitaler Systeme der Hochschule bei Anwendungsproblemen geholfen. Dies sei IT-Service, nicht aber wissenschaftliche Arbeit. Damit sei kein Befristungsgrund gegeben und das Arbeitsverhältnis besteht unbefristet weiter.

Autor: Rechtsanwalt Tobias Michael

Hier die Entscheidung im Volltext: https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/7-azr-245-20/

Ohne Maske auch bei ärztlichem Attest problematisch (ArbG Siegburg, Urt. v. 18.08.2021 – 4 Ca 2301/20; ArbG Cottbus, Urt. v. 17.06.2021 – 11 Ca 10390/20)

By Arbeitsrecht

Im Zuge der Corona-Pandemie haben sich die Arbeitsgerichte auch mit der Frage zu beschäftigen, was passiert, wenn Mitarbeiter aus gesundheitlichen Gründen während der Arbeitszeit keine Maske tragen können.

In einem aktuellen Verfahren vor dem Arbeitsgericht Siegburg ging es um die Forderung, wegen ärztlicher Befreiung von der Maskenpflicht trotzdem Gehalt bezahlt zu bekommen und einen Arbeitsplatz im Homeoffice zu erhalten (ArbG Siegburg, Urt. v. 18.08.2021 – 4 Ca 2301/20). Der Kläger war als Verwaltungsmitarbeiter im Rathaus beschäftigt und vom Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung ärztlich befreit. Die Beklagte beschäftigte den Kläger daher nicht und lehnte auch eine Beschäftigung im Home-Office ab. Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Könne der Kläger trotz Coronaschutzverordnung keine Maske tragen, sei er als arbeitsunfähig zu bewerten. Die Tätigkeit des Klägers sei auch nicht für Home-Office geeignet.

In einem Verfahren vor dem Arbeitsgericht Cottbus wurde über eine Kündigung entschieden, die wegen ärztlicher Befreiung von der Maskenpflicht ausgesprochen wurde (ArbG Cottbus, Urt. v. 17.06.2021 – 11 Ca 10390/20). Die Klägerin war bei einer logopädischen Praxis beschäftigt und ärztlich von der Maskenpflicht befreit. Da keine andere Beschäftigungsmöglichkeit bestand, kündigte die Beklagte. Zu Recht entschied das Gericht. Eine solche Kündigung ist selbst bei einer wirksamen Befreiung von der Massenpflicht bei fehlenden Beschäftigungsalternativen in der Regel sozial gerechtfertigt.

Autor: Rechtsanwalt Tobias Michael

WhatsApp-Chat kein Kündiungsgrund (LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 1907.2021 – 21 Sa 1291/20)

By Arbeitsrecht

Wenn ein Arbeitsverhältnis durch eine Kündigung beendet wird, findet sich im Kündigungsschreiben selten eine Begründung. Eine solche ist für die Wirksamkeit der Kündigung auch keine Voraussetzung. In einem Kündigungsrechtsstreit ist es dann Sache des Kündigenden, die Gründe für die Trennung anzuführen und diesen notfalls zu beweisen.

In einem aktuellen Verfahren vor dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg ging es um die Frage, ob Äußerungen in einem WhatsApp-Chat eine Rechtfertigung einer Kündigung sein können (LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 19.07.2021- 21 Sa 1291/20). Der technische Leiter eines gemeinnützigen Vereins für Flüchtlingshilfe hatte sich in einem WhattsApp-Chat in kleinem Kreis in herabwürdigender und verächtlicher Art und Weise über Geflüchtete und Flüchtlingshelfer geäußert. Nachdem der Verein dies erfuhr, kündigte er dem technischen Leiter.

Arbeitsgericht und LAG erklärten die Kündigung für unwirksam. Die Kommunikation im Chat sei auf einen kleinen Kreis angelegt und damit vertraulich gewesen. Damit falle diese Kommunikation unter den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers. Informationen aus dem Chat könnten damit keine Grundlage für die Rechtfertigung der Kündigung sein. Als technischer Leiter habe der Kläger auch keine besonderen Loyalitätspflichten gehabt, deren Verletzung eine Kündigung hätten rechtfertigen können.

Autor: Rechtsanwalt Tobias Michael

„Kleine Schlußformel“ kann gefordert werden (LAG Düsseldorf, Urt. v. 12.01.2021 – 3 Sa 800/20; LAG München, Urt. v. 15.07.2021 – 3 Sa 188/21)

By Arbeitsrecht

Gemäß § 109 GewO hat der Arbeitnehmer nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses Anspruch auf ein Arbeitszeugnis. Neben dem Streit um die richtige Zeugnisnote ist auch von Zeit zu Zeit gerichtlich zu klären, ob im Zeugnis ein Anspruch auf eine Schlussformel besteht. Diese lautet üblicherweise: „Wir bedauern das Ausscheiden von Herrn/ Frau…dan­ken Herrn/Frau … für die ge­leis­te­te Ar­beit und wün­schen ihm/ihr für die wei­te­re be­ruf­li­che und pri­va­te Zu­kunft wei­ter­hin al­les Gu­te und viel Er­folg.“ Im Jahr 2012 hatte das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass ein Arbeitnehmer grundsätzlich keinen Anspruch auf eine solche Schlussformel hat (BAG, Urt. v. 11.12.2012 – 9 AZR 227/11).

In zwei aktuellen Verfahren haben sich die Landesarbeitsgerichte Düsseldorf (LAG Düsseldorf, Urt. v. 12.01.2021 – 3 Sa 800/20) und München (LAG München, Urt. v. 15.07.2021 – 3 Sa 188/21) damit beschäftigt, ob nicht aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers ein Anspruch auf eine Schlussformel abgeleitet werden kann. Geklagt hatten jeweils Beschäftigte, die ein überdurchschnittliches Zeugnis ohne Schlussformel ausgestellt bekommen hatten.

Die LAG entschieden, dass sich aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gemäß § 241 Abs.2 BGB ergeben kann, dass bei einem überdurchschnittlichen Zeugnis eine Schlussformel enthalten sein müsse. Ein Anspruch auf „Bedauern“ und „private gute Wünsche“ in der Schlussformel bestehe allerdings nicht. Das Bedauern würde gegen den Grundsatz der Zeugniswahrheit stehen, da sich die Arbeitgeberin in dem Rechtsstreit vor dem LAG Düsseldorf getrennt hatte. Vor dem LAG München wurde klargestellt, das Gute Wünsche für den privaten Bereich nicht mehr von der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers umfasst sein. Daher wären allenfalls gute Wünsche für die berufliche Zukunft denkbar gewesen.

Für den Arbeitnehmer zwei positive Entscheidungen. Bislang wurde mit Hinweis auf die Entscheidung des BAG jegliche Schlussformel von den Gerichten überwiegend abgelehnt. Für den Arbeitgeber bedeutet dies, dass er bei einer überdurchschnittlichen Bewertung seiner Angestellten auch mit der Forderung nach einer Schlussformel rechnen muss.

Autor: Rechtsanwalt Tobias Michael

Betriebliches Eingliederungsmanagement nicht einklagbar (LAG Nürnberg, Urt. v. 08.10.2020 – 5 S 117/20)

By Arbeitsrecht

Sind Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen arbeitsunfähig erkrankt, „klärt der Arbeitgeber…, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann (betriebliches Eingliederungsmanagement)“, § 167 Abs.2 SGB IX. Höchst umstritten ist, ob diese Regelung auch dem einzelnen Beschäftigten einen einklagbaren Anspruch gibt.

Unlängst hatte das Landesarbeitsgericht Nürnberg über eine solche Klage auf Durchführung eines beM zu entscheiden (LAG Nürnberg, Urt. v. 08.10.2020 – 5 S 117/20). Nachdem der Kläger häufiger erkrankt war, begehrte er von seiner Arbeitgeberin ein beM gemäß § 167 Abs.2 SGB IX. Die Arbeitgeberin lehnte ab, worauf hin der Kläger seinen Anspruch vor Gericht weiterverfolgte.

Das Arbeitsgericht Würzburg gab dem Kläger Recht. In Verbindung mit der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers und dem Gebot aus § 167 Abs.2 SGB IX leitete das Arbeitsgericht einen einklagbaren Anspruch ab. Das LAG hob diese Entscheidung auf. Aus § 167 Abs.2 SGB IX könnten zwar bei Missachtung Ansprüche eines Beschäftigten gegen den Arbeitgeber bestehen. Die Entscheidung über die Durchführung selbst obliege allerdings allein dem Arbeitgeber. Außerdem könne auch der Betriebsrat ein solches Verfahren einleiten. Revision vor dem Bundesarbeitsgericht wurde eingelegt.

Autor: Rechtsanwalt Tobias Michael

Fahrradkurier darf Betriebsmittel für sich fordern (LAG Hessen, Urt. v. 19.02.2021 – 14 Sa 306/20)

By Arbeitsrecht

Damit der Arbeitnehmer seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung erbringen kann, stellt der Arbeitgeber grundsätzlich entsprechende Betriebsmittel zur Verfügung. Betriebsmittel wie Handy, Laptop oder Pkw sind dabei ohne entsprechende Absprache nur für dienstliche Zwecke überlassen.

In einem aktuellen Verfahren vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht war darüber zu entscheiden, ob von Beschäftigten auch gefordert werden kann, diese Betriebsmittel selbst zu stellen (LAG Hessen, Urt. v. 19.02.2021 – 14 Sa 306/20). Der Kläger ist als Fahrradkurier bei der Beklagten beschäftigt und liefert Essen und Getränke aus. Da die Bestellungen mittels einer App bearbeitet werden und laut Arbeitsvertrag die Verpflichtung bestand, nur auf Fahrrädern in verkehrstauglichen Zustand zu fahren, nutzte der Kläger sein eigenes Fahrrad und Smartphone nebst Datenvolumen. Der Kläger forderte, dass ihm dies von der Arbeitgeberin zur Verfügung gestellt wird.

Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Das LAG gab dem Kläger Recht. Die Regelungen im Arbeitsvertrag benachteiligten den Kläger unangemessen. Nach der gesetzlichen Wertung seien die Betriebsmittel und deren Kosten vom Arbeitgeber zu stellen. Dieser trage auch das Risiko, dass diese Betriebsmittel einsatzbereit seien.

Autor: Rechtsanwalt Tobias Michael

Tarifgehalt wenn Azubi ohne Ausbildung (ArbG Bonn, Urt. v. 08.07.2021 – 1 Ca 308/21)

By Arbeitsrecht

Lehrjahre sind keine Herrenjahre heißt es im Volksmund. Um bei einer Ausbildung dennoch zu gewährleisten, dass die auszubildende Person ihren Lebensunterhalt bestreiten kann, ist in § 17 Berufsbildungsgesetz die Mindestvergütung für Auszubildende geregelt. Häufig finden sich auch in Tarifverträgen Regelungen zur Vergütungshöhe von Auszubildenden.

In einem aktuellen Verfahren vor dem Arbeitsgericht Bonn war darüber zu entscheiden, welcher Lohnanspruch dem Auszubildenden zusteht, wenn tatsächlich keine Ausbildung erfolgt (ArbG Bonn, Urt. v. 08.07.2021 – 1 Ca 308/21). In dem Verfahren sollte laut Ausbildungsvertrag der Kläger monatlich EUR 775,00 brutto als Ausbildungsvergütung zum Gebäudereiniger erhalten. Das Ausbildungsverhältnis wurde jedoch weder bei der Innung noch bei der Berufsschule angemeldet. Stattdessen wurde der „Auszubildende“ mit 39 Stunden die Woche als Reinigungskraft eingesetzt. Der Kläger verlangte gerichtlich den Tariflohn für Beschäftigte in der Gebäudereinigung.

Das Arbeitsgericht gab der Klage statt. Entsprechend § 612 BGB habe der Kläger Anspruch auf die übliche Vergütung eines ungelernten Arbeitnehmers, da er statt der Ausbildung wie ein ungelernter beschäftigt wurde.

Autor: Rechtsanwalt Tobias Michael

Schadensersatz bei fehlender Bonusregelung (BAG, Urt. v. 17.12.2020 – 8 AZR)

By Arbeitsrecht

In einem Arbeitsvertrag  kann neben dem normalen Gehalt festgelegt werden, dass für das Erreichen bestimmter Ziele Bonuszahlungen erfolgen. Legt der Arbeitgeber die Ziele nicht fest, kann ein Anspruch des Arbeitnehmers möglicherweise dennoch bestehen.

Unlängst hatte das Bundesarbeitsgericht zu entscheiden, was der Arbeitnehmer fordern kann, wenn unklar bleibt, wie eine arbeitsvertraglich vorgesehene Bonuszahlung verdient werden kann (BAG, Urt. v. 17.12.2020 – 8 AZR). Im Formular-Arbeitsvertrag des Klägers war geregelt, dass dieser bis zu 25% seines Jahresgehalts zusätzlich als Bonuszahlung verdienen könne. Voraussetzung und Höhe sollten gesondert geregelt werden. Bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses erfolgte keine weitere Regelung, so dass der Kläger im Anschluss EUR 15.000 für die Nichtfestlegung forderte.

Die Vorinstanzen waren uneins. Das BAG sprach dem Kläger die Bonuszahlung als Schadensersatz zu. Der Arbeitgeber habe es versäumt, die Bonusklausel näher auszugestalten. Dies sei eine schuldhafte Pflichtverletzung und daher die Forderung des Klägers berechtigt. Allerdings müsse sich der Kläger 10% anrechnen lassen, da er selbst nicht das Gespräch gesucht habe.

Autor: Rechtsanwalt Tobias Michael

Skiunfall bei Betriebsausflug (LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 21.05.2021 – L 3 U 1001/20)

By Arbeitsrecht

Die Frage, ob die Berufsgenossenschaft für Schäden des Arbeitnehmers haftet, stellt sich nicht nur in den typischen Fällen auf dem Weg zur Arbeit oder der Verrichtung der Arbeit selbst. Auch bei Veranstaltungen, die der Stärkung der Verbundenheit zwischen Betriebsleitung und Belegschaft dienen, kann eine Eintrittspflicht der Berufsgenossenschaft gegeben sein.

In einem aktuellen Fall hatte das Landessozialgericht Baden-Württemberg darüber zu entscheiden, ob bei einem gemeinsamen Skiausflug ein Arbeitsunfall vorliegt (LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 21.05.2021 – L 3 U 1001/20). Der Arbeitgeber hatte einen Firmenskitag in Österreich organisiert, an dem der Kläger als einer von nur 7 % der Belegschaft teilnahm. Beim Skifahren verletzte sich der Kläger. Die Berufsgenossenschaft lehnte die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ab. Aufgrund der geringen Teilnehmerzahl habe keine teamfördernde Maßnahme vorgelegen, sondern die Gelegenheit zu privaten Freizeitinteressen.

Die hiergegen gerichtete Klage wiesen Sozialgericht und Landessozialgericht ab. Der Kläger habe keine Pflicht aus dem Beschäftigungsverhältnis erfüllt. Auch habe keine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung stattgefunden. Erkennbar seien nur Skifahrer angesprochen worden, was auch die geringe Teilnehmerzahl erkläre. Damit habe im Kern eine Freizeitveranstaltung und keine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung vorgelegen.

Autor: Rechtsanwalt Tobias Michael

Nur notwendige Detektivkosten erstattungsfähig (BAG, Urt. v. 29.04.2021 – 8 AZR 276/20)

By Arbeitsrecht

Im Arbeitsrecht gilt die Besonderheit, dass außergerichtlich und in erster Instanz die unterlegene Partei die Kosten für die Beauftragung eines Rechtsanwalts der anderen Partei nicht erstatten muss. Etwas anderes kann dann gelten, wenn der Arbeitgeber bei einem Verdacht von Verfehlungen des Arbeitnehmers Kosten für die Ermittlung des Fehlverhaltens hat.

In einem aktuellen Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht ging es um die Frage, ob und in welcher Höhe Ermittlungskosten vom gekündigten Arbeitnehmer zu erstatten sind (BAG, Urt. v. 29.04.2021 – 8 AZR 276/20). In dem Verfahren hatte der Arbeitgeber gegen einen Arbeitnehmer aus der Führungsebene durch eine Anwaltskanzlei ermitteln lassen, nachdem es mehrere anonyme Verdachtsmeldungen gegeben hatte. Unter anderem hatte der Arbeitnehmer auf Kosten der Beklagten zu privaten Essen eingeladen und Reisekosten zu Champions-League-Spielen abgerechnet. Der Arbeitgeber kündigte berechtigterweise fristlos und forderte die Ermittlungskosten durch die Anwaltskanzlei in Höhe von EUR 209.679,68.

Die Vorinstanzen urteilten unterschiedlich. Das BAG wies die Klage des Arbeitgebers vollständig ab. Grundsätzlich seien die Ermittlungskosten ersatzfähig. Allerdings hatte der Arbeitgeber im Prozess nicht ausreichend erläutert, welche konkreten Tätigkeiten bzw. Ermittlungen wann und in welchem zeitlichen Umfang wegen welchen konkreten Verdachts von der Kanzlei ausgeführt wurden.

Autor: Rechtsanwalt Tobias Michael

Kündigungsgrund muss bewiesen werden (LAG Niedersachsen, Urt. v. 19.04.2021)

By Arbeitsrecht

Im Rahmen eines Kündigungsschutz-Verfahrens kann es vorkommen, dass nicht nur darüber gestritten wird, ob das Arbeitsverhältnis aufgelöst wurde. Lohn- und Schadensersatzansprüche werden oft mitverhandelt. Kommt es nach der Kündigung zu schwerwiegenden Problemen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, können diese unter bestimmten Voraussetzungen beantragen, dass das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung beendet wird.

In § 9 Kündigungsschutzgesetz heißt es hierzu:

(1) Stellt das Gericht fest, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, ist jedoch dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten, so hat das Gericht auf Antrag des Arbeitnehmers das Arbeitsverhältnis aufzulösen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verurteilen. Die gleiche Entscheidung hat das Gericht auf Antrag des Arbeitgebers zu treffen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. Arbeitnehmer und Arbeitgeber können den Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses bis zum Schluß der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz stellen.
(2) Das Gericht hat für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses den Zeitpunkt festzusetzen, an dem es bei sozial gerechtfertigter Kündigung geendet hätte.

In einem aktuellen Verfahren vor dem Landesarbeitsgericht Niedersachsen war über diese wechselseitigen Ansprüche zu entscheiden (LAG Niedersachsen, Urt. v. 19.04.2021). Dem Kläger war von der Volkswagen AG (VW AG) gekündigt worden. Der Kläger hatte als Leiter der Hauptabteilung „Entwicklung Aggregate Diesel“ gearbeitet. Ihm warf die VW AG vor, für die Verwendung der Manipulationssoftware mitverantwortlich zu sein. Wegen angeblicher Weitergabe von Details zu Vergleichsgesprächen zwischen den Parteien nach der Kündigung, beantragte die VW AG die Auflösung des Arbeitsverhältnisses und verlangte wegen der Manipulationssoftware 2 Mio. Euro Schadensersatz.

Das Gericht gab dem Kläger Recht und wies die Ansprüche der VW AG zurück. Der Kündigungsvorwurf sei nicht bewiesen worden.  Auch Schadensersatz könne daher nicht beansprucht werden. Das Arbeitsverhältnis sei auch nicht wegen des angeblichen Vertraulichkeitsverstoßes aufzulösen; dies reiche hierfür nicht aus.

Autor: Rechtsanwalt Tobias Michael

Schwerbehinderung muss bekannt sein (BAG, Urt. v. 17.12.2020 – 8 AZR 171/20)

By Arbeitsrecht

Gemäß § 165 SGB IX sind schwerbehinderte Menschen bei einer Stellenausschreibung durch einen öffentlichen Arbeitgeber zwingend zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Erfolgt dies nicht, gilt nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) die Vermutung einer Diskriminierung. Gemäß § 15 Abs.2 AGG können dann Entschädigungsansprüche bestehen.

In einem aktuellen Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht war darüber zu entscheiden, wie weit diese Vermutungswirkung geht (BAG, Urt. v. 17.12.2020 – 8 AZR 171/20). Der Kläger hatte sich auf eine Position eines öffentlichen Arbeitgebers beworben, ohne jedoch seine Schwerbehinderung mitzuteilen. Zu einem Vorstellungsgespräch wurde er nicht eingeladen. Kurz vor der Einstellung eines anderen Kandidaten teilte der Bewerber per E-Mail mit, dass er einen Grad der Behinderung von 50 habe. Der Kläger wurde trotzdem abgelehnt und der andere Kandidat eingestellt. Der Kläger verlangte sodann Schadensersatz.

Alle Instanzen und auch das BAG wiesen die Klage ab. Zum Zeitpunkt der Mitteilung der Schwerbehinderung war das Auswahlverfahren schon so weit fortgeschritten, dass die verspätete Mitteilung der Schwerbehinderung nicht mehr zu berücksichtigen war. Eine Diskriminierung wegen einer Schwerbehinderung sei daher nicht gegeben.

Autor: Rechtsanwalt Tobias Michael

Urlaubsanspruch bei Kurzarbeit (LAG Düsseldorf, Urt.v.12.03.2021 – 6 Sa 824/20)

By Arbeitsrecht

In einem Arbeitsverhältnis entsteht der Urlaubsanspruch allein deshalb, weil das Arbeitsverhältnis besteht. Auch bei Krankheit und Schwangerschaft entsteht der Urlaubsanspruch, auch wenn eine Arbeitsleistung nicht erbracht wird. Welche Folgen eine Kurzarbeit auf den Urlaubsanspruch hat, war bislang nicht entschieden.

In einem aktuellen Verfahren hatte das Landesarbeitsgericht Düsseldorf zu entscheiden, wie sich die Vereinbarung einer Kurzarbeit Null auf die Entstehung von Urlaubsansprüchen auswirkt (LAG Düsseldorf, Urt. v. 12.03.2021 – 6 Sa 824/20). Arbeitnehmerin und Arbeitgeber hatten vereinbart, dass wegen Corona keinerlei Arbeitsleistung erbracht wird und nur das Kurzarbeitergeld gezahlt wird; sogenannte Kurzarbeit Null. In der Folge entstand Streit darüber, ob für diese Zeit die Urlaubstage voll erworben sind.

Das LAG wies die Klage der Arbeitnehmerin ab, mit der diese bestätigt haben wollte, dass ihr der volle Urlaub zustehe. Der Urlaubsanspruch eines Arbeitnehmers verkürze sich für jeden vollen Monat der Kurzarbeit Null um 1/12, ohne dass dies vereinbart werden müsse. Der Erholungszweck des Urlaubs setze eine Verpflichtung zur Tätigkeit voraus, die während der Kurzarbeit nicht besteht. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wurde zugelassen.

Autor: Rechtsanwalt Tobias Michael

Kündigung trotz Schwerbehinderung (LAG Düsseldorf, Urt. v. 10.12.2020 – 5 Sa 231/20)

By Arbeitsrecht

Arbeitnehmer mit einem Grad der Behinderung von mindestens 50 oder diesen gleichgestellte Beschäftigte sind besonders geschützt. Dies bedeutet allerdings nicht, dass eine Kündigung ausgeschlossen ist.

In einem aktuellen Verfahren vor dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf ging es um eine verhaltensbedingte Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers ohne vorherige Abmahnung (LAG Düsseldorf, Urt. v. 10.12.2020 – 5 Sa 231/20). Der 55-jährige Kläger war seit 1981 bei der beklagten Firma beschäftigt. Dort hatte er sich in der Vergangenheit schon mehrfach beleidigend gegenüber Kollegen geäußert und dies mit seiner „Unkündbarkeit“ gerechtfertigt. Abgemahnt worden war der Kläger bislang nicht. Als der Kläger in Bezug auf türkischstämmige Mitarbeiter sich rassistisch und mit Bezug auf Gaskammern äußerte, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis.

Das LAG bestätigte diese Kündigung. Das schwere Fehlverhalten mache es der Beklagten unzumutbar, den Kläger über die Kündigungsfrist hinaus weiter zu beschäftigen. Die Sozialdaten des Klägers würden hieran nichts ändern.

Autor: Rechtsanwalt Tobias Michael

Ruhezeit zählt insgesamt (EuGH, Urt. v. 17.03.2021 – C-585/19)

By Arbeitsrecht

Gemäß § 5 Abs.1 Arbeitszeitgesetz müssen Arbeitnehmer nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens 11 Stunden haben. Auch die europäische Arbeitszeitrichtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, dass jedem Arbeitnehmer pro 24 Stunden-Zeitraum eine Mindestruhezeit von 11 zusammenhängenden Stunden gewährt wird.

In einem aktuellen Verfahren hatte der Europäische Gerichtshof darüber zu entscheiden, inwieweit die Mindestruhezeit gilt, wenn mehrere Arbeitsverträge mit demselben Arbeitgeber existieren (EuGH, Urt. v. 17.03.2021 – C-585/19). Ein rumänisches Gericht rief den EuGH mit der Frage an, ob die Mindestruhezeit in Bezug auf jeden einzelnen Vertrag oder alle Arbeitsverträge zusammen gilt.

Das Gericht entschied, dass die Mindestruhezeit für alle Verträge zusammengenommen einzuhalten sei. Anderenfalls sei nicht gewährleistet, dass jeder Arbeitnehmer mindestens 11 Ruhestunden am Tag erhält. Nur so könne das Ziel des Gesundheitsschutzes auch gewährleistet werden.

Autor: Rechtsanwalt Tobias Michael

Kriterien für Mitarbeitergewinnung im öffentlichen Dienst (BAG, Urt .v. 28.01.2020 – 9 AZR 91/19)

By Arbeitsrecht

Möchte ein öffentlicher Arbeitgeber eine Stelle neu besetzen, so kann er hierfür auch ein bestimmtes Auswahlprofil erstellen und die dortigen Kriterien auch gewichten. Allerdings ist er hierbei nicht uneingeschränkt frei. Insbesondere müssen sogenannte „harte“ leistungsbezogene Kriterien höher gewichtet werden als die sogenannten „weichen“ Kriterien, wie das Bundesarbeitsgericht in einem aktuellen Urteil klarstellte (BAG, Urt. v. 28.01.2020 – 9 AZR 91/19).

In der Entscheidung hatte sich ein Jurist auf eine leitende Stelle im Bereich Öffentliche Ordnung und Sicherheit beworben. Im Anforderungsprofil waren neben den Ausbildungsanforderungen und der Berufserfahrung auch solche Kriterien wie selbstständiges Arbeiten, Flexibilität, Stressbewältigung usw. genannt. Das Auswahlschema für die Bewerber beinhaltete 15 verschiedene Kriterien, von denen allerdings keines aus dem Anforderungsprofil der Stellenausschreibung auftauchte.

Der Kläger hatte gegenüber den anderen Bewerbern das Nachsehen und klagte darauf, finanziell so gestellt zu werden, als hätte er die Stelle bekommen. Alle Instanzen wiesen die Klage ab. Das BAG bemängelte zwar das Auswahlverfahren und stellte klar, dass in jedem Falle leistungsbezogene Kriterien den Ausschlag bei der Bewerbung geben müssten. Der Kläger scheiterte hier dennoch, da er nicht aufzeigen konnte, dass er nach seinen Fähigkeiten der bessere Bewerber gewesen wäre.

Autor: Rechtsanwalt Tobias Michael

Fristlose Änderungskündigung ausnahmsweise möglich (ArbG Stuttgart, Urt. v. 22.10.2020 – 11 Ca 2950/20)

By Arbeitsrecht

Möchte der Arbeitgeber die Arbeitsbedingungen ändern, ist er darauf angewiesen, dass die Belegschaft mit dieser Änderung einverstanden ist. Anderenfalls bleibt ihm noch das Instrument der Änderungskündigung. Hierbei wird eine normale Kündigung ausgesprochen, verbunden mit dem Angebot, das Arbeitsverhältnis zu geänderten Bedingungen fortzusetzen. Diese Problematik stellte sich unlängst bei der coronabedingten Reduzierung der Arbeitszeit im Wege der Kurzarbeit. War im Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag nicht vorgesehen, dass Kurzarbeit eingeführt werden kann, war dies ohne Zustimmung der Belegschaft für den  Arbeitgeber nicht möglich.

Die geänderten Arbeitsbedingungenkann der Arbeitnehmer ablehnen, annehmen oder diese unter dem Vorbehalt annehmen, dass diese sozial gerechtfertigt sind. Im letzteren Falle würde der Arbeitnehmer ab dem Zeitpunkt der Änderung die neue Tätigkeit ausüben und könnte die Kündigung parallel dazu gerichtlich überprüfen lassen. Aber auch hier gilt, dass nur innerhalb von 3 Wochen ab Zugang der Kündigung die Kündigungsschutzklage möglich ist.

Bei einer Änderungskündigung  geht man grundsätzlich davon aus, dass diese nur in absoluten Ausnahmefällen auch ohne die Einhaltung der Kündigungsfrist ausgesprochen werden kann.

Das Arbeitsgericht Stuttgart hat nunmehr entschieden, dass auch eine fristlose Änderungskündigung zur Einführung von Kurzarbeit gerechtfertigt sein kann (ArbG Stuttgart, Urt. v. 22.10.2020 – 11 Ca 2950/20). Das Arbeitsgericht entschied, dass die Einhaltung der Kündigungsfristen für den Arbeitgeber nicht zumutbar gewesen sei, da dann der Effekt der Kurzarbeit nicht hätte erzielt werden können. Da Gehalt und Arbeitszeit auch in gleichem Maße und auch nur vorübergehend reduziert werden, sei es auch nicht darauf angekommen, ob ohne Einführung der Kurzarbeit eine Insolvenz des Arbeitgebers gedroht habe. Auch ansonsten sei der Arbeitgeber gerechtfertigt, da er vor der Änderungskündigung die Einführung von Kurzarbeit angeboten hatte.

Autor: Rechtsanwalt Tobias Michael

Crowdworker als Arbeitnehmer (BAG, Urt .v. 01.12.2020 – 9 AZR 102/20)

By Arbeitsrecht

Wirklich Selbständiger oder Angestellter? Diese Frage stellt sich nicht nur in den klassischen Abgrenzungsfällen zur Scheinselbstständigkeit, sondern auch im Rahmen neuer, digitaler Beschäftigungsverhältnisse wie etwa sogenannter Crowdworker. Zum Teil werden Arbeitnehmer solcher Arbeitsverhältnisse etwas despektierlich auch als „digitale Tagelöhner“ bezeichnet. Dies dürfte vor allem daran liegen, dass die Aufträge aus so einer „Crowcloud“ zumeist nur Kleinstjobs ohne großen Einzelverdienst sind.

Die Frage nach dem Arbeitnehmerstatus hatte das Bundesarbeitsgericht in einem aktuellen Verfahren zu entscheiden (BAG, Urt. v. 01.12.2020 – 9 AZR 102/20). Der knapp 50-jährige Kläger war seit Anfang 2017 für eine Internetplattform tätig, die verschiedene Kleinstjobs (Microjobs), wie etwa das Fotografieren von Produktregalen in Supermärkten, vergab. Das Auftragsverhältnis bestand zwischen der Internetplattform und dem Kläger. Der Kläger war nicht verpflichtet, Aufträge anzunehmen. Er durfte auch selbst entscheiden, wie oft ihm Aufträge angezeigt wurden. Nach ca. einem Jahr und knapp 3.000 Mikrojobs später, kam es zur Beendigung durch die Internetplattform.

Der Kläger wehrte sich dagegen und wollte feststellen lassen, dass zwischen ihm und der Internetplattform ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen war. Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab. Das BAG gab dem Kläger Recht. Zwar habe der Kläger selbst über die Annahme der Aufträge entscheiden können. Allerdings sei das Anreizsystem der Plattform so gestaltet gewesen, dass eine höhere Anzahl abgearbeiteter Aufträge auch wieder zu besseren Aufträgen geführt hatte. Durch dieses Anreizsystem sei der Kläger faktisch weisungsgebunden gewesen und damit Arbeitnehmer.

Autor: Rechtsanwalt Tobias Michael

In der Pressemitteilung Nr.43/20 des BAG heißt es u.a.:

Die Arbeitnehmereigenschaft hängt nach § 611a BGB davon ab, dass der Beschäftigte weisungsgebundene, fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit leistet. Zeigt die tatsächliche Durchführung eines Vertragsverhältnisses, dass es sich hierbei um ein Arbeitsverhältnis handelt, kommt es auf die Bezeichnung im Vertrag nicht an. Die dazu vom Gesetz verlangte Gesamtwürdigung aller Umstände kann ergeben, dass Crowdworker als Arbeitnehmer anzusehen sind. Für ein Arbeitsverhältnis spricht es, wenn der Auftraggeber die Zusammenarbeit über die von ihm betriebene Online-Plattform so steuert, dass der Auftragnehmer infolge dessen seine Tätigkeit nach Ort, Zeit und Inhalt nicht frei gestalten kann. So liegt der entschiedene Fall. Der Kläger leistete in arbeitnehmertypischer Weise weisungsgebundene und fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit. Zwar war er vertraglich nicht zur Annahme von Angeboten der Beklagten verpflichtet. Die Organisationsstruktur der von der Beklagten betriebenen Online-Plattform war aber darauf ausgerichtet, dass über einen Account angemeldete und eingearbeitete Nutzer kontinuierlich Bündel einfacher, Schritt für Schritt vertraglich vorgegebener Kleinstaufträge annehmen, um diese persönlich zu erledigen. Erst ein mit der Anzahl durchgeführter Aufträge erhöhtes Level im Bewertungssystem ermöglicht es den Nutzern der Online-Plattform, gleichzeitig mehrere Aufträge anzunehmen, um diese auf einer Route zu erledigen und damit faktisch einen höheren Stundenlohn zu erzielen. Durch dieses Anreizsystem wurde der Kläger dazu veranlasst, in dem Bezirk seines gewöhnlichen Aufenthaltsorts kontinuierlich Kontrolltätigkeiten zu erledigen.

 

Chatgruppe kann Job kosten (VG Düsseldorf, Beschl. v. 22.10.2020 – 2 L 1910/20; VG Freiburg, Beschl. v. 19.10.2020 – 3 K 2398/20)

By Arbeitsrecht

Polizeibeamte haben bereits im Bewerberverfahren, als auch bei der Ausübung der Dienste ihre persönliche Eignung dauerhaft unter Beweis zu stellen. Gefordert werden hierbei unter anderem auch eine politische Treuepflicht und Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung.

In zwei aktuellen Verfahren war die Verletzung dieser Pflichten Gegenstand. Jeweils war Anlass die Mitgliedschaft in einer WhattsApp-Gruppe mit Polizeikollegen. Und in beiden Verfahren war allein diese Mitgliedschaft und das unkommentierte „Mitlesen“ Anlass, eine Entfernung aus dem Polizeidienst bzw. Vorbereitungsdienst auszusprechen.

Im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf wurde der Klage der Polizistin sattgegeben, bei der ihr die Mitgliedschaft in einer rechtsextremen Chatgruppe vorgeworfen wurde (VG Düsseldorf, Beschl. v. 22.10.2020 – 2 L 1910/20). Das Gericht gab der Klägerin Recht, da es gerade nicht um einen rechtsextremen Inhalt ging, sondern ein Bild mit einer Karikatur Adolf Hitlers. In der Entscheidung des Gerichts war auch deutlich die Kritik an der Behörde zu erkennen. So heißt es etwa:

Zum anderen beruht die Annahme, dass es sich bei dem in Rede stehenden Bild um ein solches mit rechtsradikalem Gedankengut oder sonst von strafrechtlicher Relevanz handelt, auf keiner tragfähigen Grundlage. Es hätte sich nach Auffassung der Kammer aufgedrängt, den Kontext, in dem die abgebildete Person steht, näher in den Blick zu nehmen. Dies ist indes offensichtlich genau so wenig geschehen, wie eine Berücksichtigung des – der Kammer nicht zur Verfügung gestellten – zugehörigen Chatverlaufs. Die Kammer hat nach einer verhältnismäßig kurzen Recherche im Internet die fragliche Bilddatei auffinden können. Es handelt sich – wie das Bild bereits vermuten lassen könnte – um einen Ausschnitt aus einer unter www.youtube.com/watch?v=wwaef5PRtkU abrufbaren Parodie über Adolf Hitler („Weihnachten mit Hitler“). Im Verlaufe dieser 1:46-minütigen Parodie trägt die abgebildete Person, die ersichtlich Adolf Hitler verspottet, eine Weihnachtsmütze und ein Rentiergeweih. Die Adolf Hitler imitierende Person, die in dem angeführten Beitrag textlich veränderte Weihnachtslieder singt, wird hierbei erkennbar überzeichnet und der Lächerlichkeit preisgegeben. Dies mag ohne Weiteres als äußerst geschmacklos empfunden werden, trägt aber als solches nicht die vom Antragsgegner gezogene Schlussfolgerung, es bestehe der Verdacht, die Antragstellerin habe ein „schwerwiegendes Dienstvergehen“ begangen und gegen die „politische Treuepflicht“ verstoßen.

Im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Freiburg hingegen wurde der Antrag des Polizisten gegen die Entlassung abgelehnt (VG Freiburg, Beschl. v. 19.10.2020 – 3 K 2398/20). Dort waren wohl tatsächlich in der Chat-Gruppe „Pozilei bad boys“ nationalistische, antisemitische, rassistische, gewaltverherrlichenden und frauenverachtende Bilder ausgetauscht worden, von denen sich nach Ansicht der Richter der Polizeianwärter nicht ausreichend distanziert hatte.

Autor: Rechtsanwalt Tobias Michael

Gerichtsverhandlungen während Corona – § 128a ZPO als Alternative zur Präsenz im Gerichtssaal?

By Arbeitsrecht

Im zivilgerichtlichen bzw. arbeitsgerichtlichen Verfahren besteht der Grundsatz der mündlichen Verhandlung. Hiervon gibt es nur wenige Ausnahmen, etwa bei einer Entscheidung, wenn die beklagte Partei nicht erscheint; dem sogenannten Versäumnisurteil. Auch bei einer einstweiligen Verfügung, wo es ja schnell gehen muss, kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden; sogenannte Beschlussverfügung. Dies bietet sich vor allem da an, wo es weniger auf tatsächliche Umstände, als auf Rechtsfragen ankommt. Dort, wo man gerade auch Reaktionen von Zeugen oder Parteien auf gerichtliche Hinweise oder eigene Ausführungen hin unbedingt direkt wahrnehmen will, wird man um eine Präsenz vor Ort im Gerichtssaal nicht herumkommen.

Hierfür ebenfalls geeignet scheint eine Verfahrensnorm, die seit dem Jahr 2002 ein recht stiefmütterliches Dasein fristet, jetzt aber erheblich an Bedeutung gewinnen dürfte: § 128a Zivilprozessordnung (ZPO). Hiernach kann das Gericht mit den Beteiligten in Bild und Ton verhandeln, ohne dass diese im Sitzungssaal anwesend sein müssen. Kurz gesagt eine Verhandlung im Rahmen einer Videokonferenz.

Konkret heißt es dort:

§ 128a
Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung

(1) 1Das Gericht kann den Parteien, ihren Bevollmächtigten und Beiständen auf Antrag oder von Amts wegen gestatten, sich während einer mündlichen Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen vorzunehmen. 2Die Verhandlung wird zeitgleich in Bild und Ton an diesen Ort und in das Sitzungszimmer übertragen.

(2) 1Das Gericht kann auf Antrag gestatten, dass sich ein Zeuge, ein Sachverständiger oder eine Partei während einer Vernehmung an einem anderen Ort aufhält. 2Die Vernehmung wird zeitgleich in Bild und Ton an diesen Ort und in das Sitzungszimmer übertragen. 3Ist Parteien, Bevollmächtigten und Beiständen nach Absatz 1 Satz 1 gestattet worden, sich an einem anderen Ort aufzuhalten, so wird die Vernehmung auch an diesen Ort übertragen.

(3) 1Die Übertragung wird nicht aufgezeichnet. 2Entscheidungen nach Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2 Satz 1 sind unanfechtbar.

Vom Gesetzgeber ursprünglich zur Verringerung von Reiseaufwand gedacht, wurde dieses Jahr an verschiedenen deutschen Gerichten aufgrund der Corona-Pandemie von der Möglichkeit des § 128a ZPO verstärkt Gebrauch gemacht. Die Erfahrungen werden zeigen, ob diese Möglichkeit dort an seine Grenzen stößt, wo es auf die direkte Wahrnehmung im Gerichtssaal ankommt. Allerdings müssten die Gerichte auch erst einmal entsprechend ausgestattet sein bzw. werden.

Viele Fragen sind auch noch ungeklärt. Was wohl gesihcert ist ist, dass der Rechtsanwalt bei Verfahren mit Anwaltszwang auch die Robe tragen muss. Was aber passiert insbesondere dann, wenn es technische Probleme gibt? Wann ist in einer solchen Situation ein Versäumnisurteil zu erlassen? Wer darf sich wo – einer im Saal, einer auswärts per Video – aufhalten? usw.

Insgesamt wird man sagen können, dass vieles in der Entwicklung ist, aber Corona dieser Vorschrift wohl zu spätem Ruhm verhelfen könnte.

Autor: Rechtsanwalt Tobias Michael

Der weggekommene Dienstschlüssel (LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 12.04.2018 – 4 Sa 208/17)

By Arbeitsrecht

Kommt es im Zusammenhang mit einer betrieblich veranlassten Tätigkeit zu einem Schaden für den Arbeitgeber, kann eine (Mit-)Haftung des Arbeitnehmers gegeben sein. Dies hängt davon ab, welcher Vorwurf dem Arbeitnehmer zu machen ist. Handelt der Arbeitnehmer vorsätzlich oder grob fahrlässig, kann sogar eine volle Haftung gegeben sein. Bei „mittlerer“ Fahrlässigkeit kommt eine anteilige Haftung in Betracht. Bei „leichter“ Fahrlässigkeit haftet der Arbeitnehmer gar nicht.

Im Jahr 2018 hatte das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern darüber zu entscheiden, inwieweit eine Arbeitnehmerin haftet, wenn ihr der Dienstschlüssel abhandenkommt (LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 12.04.2018 – 4 Sa 208/17). Die Klägerin hatte den Generalschlüssel für ein von ihr geleitetes Wohnheim über Nacht in ihrem PKW gelassen, der in den Carport auf ihrem Privatgrundstück abgestellt war. Trotz elektrischem Schiebetor kam es zum Diebstahl des PKW samt Schlüssel. Daraufhin ließ der Arbeitgeber alle 250 Schließanlagenzylinder nebst Schlüsseln austauschen. Die Versicherung des Arbeitgebers übernahm nur 3.000 €. Den Rest von 6.726,64 € verlangte der Arbeitgeber von der Arbeitnehmerin.

Das LAG wies die Klage ab. Die Beklagte musste nicht damit rechnen oder vorhersehen, dass der PKW trotz der Sicherheitsvorkehrungen gestohlen werden würde. Dementsprechend sei nur leichte Fahrlässigkeit und daher keine Mithaftung gegeben.

Anmerkung: Wann würde man wohl grobe oder mittlere Fahrlässigkeit annehmen können? Ich denke, wenn man mit dem Schlüssel in der Tasche zusammen mit seinem Kind auf die Hüpfeburg geht, seine Jacke, in der sich der Schlüssel befindet jemandem mitgibt usw. Also immer dort wo man bewußt die eigene Zugriffsmöglichkeit erschwert, könnte wohl eine Haftung gegeben sein. Wenn man den Schlüssel aber „einfach so“ verliert, dürfte eine Mithaftung ausscheiden.

Autor: Rechtsanwalt Tobias Michael

Keine beliebige Freistellung (LAG Schleswig-Holstein, Urt. v. 6.2.2020 – 3 SaGa 7 öD/19)

By Arbeitsrecht

Arbeitsleistung und Entlohnung sind die beiden Hauptpflichten im Arbeitsverhältnis. Ist dieses Verhältnis, etwa durch Kündigung, gestört, kann der Arbeitgeber den Arbeitnehmer berechtigt von der Erbringung der Arbeitsleistung unter Fortzahlung des Lohns freistellen. Allerdings darf die Freistellung nicht nach Belieben oder missbräuchlich erfolgen.

Kürzlich hatte das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein zu entscheiden, ob eine Freistellung auch dann zulässig ist, wenn hierdurch Gespräche über die Aufhebung eines Arbeitsverhältnisses „gefördert“ werden sollen (LAG Schleswig-Holstein, Urt. v. 6.2.2020 – 3 SaGa 7 öD/19). Die Klägerin war geschäftsführende Oberärztin und nicht mehr ordentlich kündbar. Sie kehrte nach längerer Arbeitsunfähigkeit zur Arbeitsstelle zurück, woraufhin sie „insbesondere auch für Verhandlungen über die Aufhebung bzw. Abwicklung ihres Anstellungsverhältnisses“ freigestellt wurde.

Die Ärztin wehrte sich im Wege der einstweiligen Verfügung gegen diese Freistellung. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht hoben daraufhin die Freistellung auf. Der Arbeitgeber habe die Klägerin ohne Grund von einem Tag auf den anderen beruflich ausgeschaltet. Eine solche einseitige Freistellung zur Durchsetzung nicht schutzwürdiger Eigeninteressen sei nicht gerechtfertigt. Kein ordentlich unkündbarer Arbeitnehmer müsse gegen seinen Willen Verhandlungen über die Aufhebung und Abwicklung des eigenen Anstellungsvertrages führen.

Autor: Rechtsanwalt Tobias Michael

Coronaverstoß und Auswirkung auf das Arbeitsverhältnis

By Arbeitsrecht

Aktuell gibt es unterschiedlich hohe Bußgelder, wenn gegen Anordnungen aufgrund der Corona-Krise verstoßen wird. Tatsächlich kann ein solcher Verstoß auch gemäß § 75 Infektionsschutzgesetzes strafrechtlich geahndet werden. Möglich ist dabei sogar eine Freiheitsstrafe von bis zu 2 Jahren bzw. sogar bis zu 5 Jahren, wenn durch einen Verstoß eine Weiterverbreitung der Krankheit erfolgt.

Das Bundesarbeitsgericht vertritt in seiner Rechtsprechung, dass bei Straftaten außerhalb des Arbeitsverhältnisses der Arbeitgeber zunächst Wartezeiten überbrücken muss. Ist allerdings nicht in absehbarer Zeit mit einem Freigängerstatus oder einem Haftende zu rechnen, soll dies grundsätzlich einen Kündigungsgrund darstellen (BAG, Urt. v. 24.03.2011 – 2 AZR 790/09). Als Richtschnur für eine Rechtfertigung der Kündigung gelte dabei eine Haftstrafe von mehr als 2 Jahren.

In dem Fall des BAG war ein Mechaniker zu 4 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden, woraufhin er die Kündigung erhielt. Nachdem die Vorinstanzen unterschiedlich urteilten, entschied das BAG, dass die Kündigung bei einer solchen Haftdauer wirksam sei.

Autor: Rechtsanwalt Tobias Michael

Kleiderordnung bei der Prüfung? (VG Berlin, Urt. v.19.02.2020 – VG 12 K 529.18)

By Arbeitsrecht

Nicht nur Probleme im Arbeitsverhältnis stellen die Vertragsparteien vor Herausforderungen, auch auf dem Weg dorthin ist mitunter ein gewisser Unbill, etwa in Form einer Prüfung, zu überwinden. Bestimmte Berufe hängen zum Teil gar vom Prüfungsergebnis ab.

In einem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Berlin war darüber zu entscheiden, ob eine Prüfungsnote deswegen herabgesetzt werden kann, weil in den Augen der Prüfer eine unangemessene Kleidung getragen worden ist (VG Berlin, Urt. v.19.02.2020 – VG 12 K 529.18). Geprüft wurde eine Studentin im Masterstudiengang „Recht für die Öffentliche Verwaltung“ an einer Berliner Hochschule. Für die mündliche Prüfung erfolgte unter anderem die Vorgabe „angemessener Kleidungsstil“ den „hochsommerlichen Temperaturen entsprechend“. Die Klägerin erschien in Jeans und mit einem Oberteil mit Punkten. Dies führte zu einer Punktabzug in der Kategorie „Präsentationsweise“. Die Dozentin sah „eine weiße Leinenhose und Blackshirt mit Ethnokette oder einem lieblichen oder auch strengen Blouson“ als eher angemessen an.

Gegen den Punktabzug klagte die Studentin. Das Verwaltungsgericht gab der Klage statt und verpflichtete die Beklagte die Note von 1,7 auf 1,3 zu korrigieren. Nur dort, wo auch Kleidung berufsspezifisch sei, wie etwa im Fach Modedesign, könnte dies bei der Bewertung mitberücksichtigt werden.

Autor: Rechtsanwalt Tobias Michael

Rufbereitschaft bei Feuerwehr als Arbeitszeit? (OVG Lüneburg, Urt. v. 10.03.2020 – 5 LB 49/18)

By Arbeitsrecht

Welche Zeiten, über die der Arbeitnehmer nicht frei verfügen kann, sind letztendlich auch als Arbeitszeit zu vergüten? Unterschieden wird zwischen Rufbereitschaft und Bereitschaftszeit. Im Gegensatz zur Bereitschaftszeit ist bei der Rufbereitschaft der Arbeitnehmer nur verpflichtet, sich an einem von ihm selbst gewählten Ort für einen mögliche Arbeit bereitzuhalten. Da dies keine vollwertige Arbeitszeit ist, erfolgt überwiegend eine pauschale Vergütung dieser Zeit, was auch im Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag geregelt sein kann.

Im Bereich des Beamtenrechts hatte vor kurzem das Oberverwaltungsgericht Lüneburg darüber zu entscheiden, ob eine pauschale Vergütung auch bei der Berufsfeuerwehr gerechtfertigt ist (OVG Lüneburg, Urt. v. 10.03.2020 – 5 LB 49/18). Den Klägern war von der beklagten Stadt für Dienste der Rufbereitschaft pauschal 12,5 % der Einsatzzeit als Freizeit bzw. Zahlung gewährt worden. Die Kläger begehrten einen vollständigen finanziellen Ausgleich der geleisteten Stunden.

Das Verwaltungsgericht hatte die Klage noch abgewiesen. Die Kläger hätten die Zeit im privaten Umfeld verbringen können, ohne mit einem Einsatz jederzeit rechnen zu müssen. Das OVG ist dem nicht gefolgt. Zur Begründung berief es sich insbesondere auf eine Entscheidung des EuGH, wonach auch passive Rufbereitschaft Arbeitszeit sein könne.

Autor: Rechtsanwalt Tobias Michael

Corona, Kurzarbeit und Kurzarbeitergeld

By Arbeitsrecht

Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona – Krise zeigen sich schnell und deutlich. Die von der Bundesregierung in Aussicht gestellten Maßnahmen sehen unter anderem eine Erleichterung bei dem Bezug von Kurzarbeitergeld vor. Die §§ 95 ff. SGB III regeln, unter welchen Voraussetzungen Kurzarbeitergeld bezogen werden kann. Neben dem Saison -Kurzarbeitergeld, welches nur im Baugewerbe Anwendung findet, sieht das Gesetz auch Kurzarbeitergeld in außergewöhnlichen betrieblichen Situationen vor.

Voraussetzung ist zunächst, dass entweder der Arbeitsvertrag, Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung die Einführung von Kurzarbeit vorsehen. Oder aber sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf Kurzarbeit verständigen. Letztlich dient dieses Instrument auch dem Erhalt des Betriebes und damit des Arbeitsplatzes, so dass die Vereinbarung von Kurzarbeit auch im beiderseitigen Interesse liegen dürfte. Insoweit federt ja dann auch das Kurzarbeitergeld die fehlende Nettolohndifferenz ganz erheblich ab.

Ist Kurzarbeit vereinbart, wird Kurzarbeitergeld dann gewährt, wenn ein erheblicher Arbeitsausfall aufgrund wirtschaftlicher Ursachen oder eines unabwendbaren Ereignisses besteht. So also auch jetzt aufgrund der Corona – Pandemie. Es ist auch unerheblich, wie groß der Betrieb ist oder in welcher Rechtsform dieser geführt wird, wenn mindestens ein Arbeitnehmer beschäftigt wird.

§ 95

Anspruch

1Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben Anspruch auf Kurzarbeitergeld, wenn

  1. ein erheblicher Arbeitsausfall mit Entgeltausfall vorliegt,
  2. die betrieblichen Voraussetzungen erfüllt sind,
  3. die persönlichen Voraussetzungen erfüllt sind und
  4. der Arbeitsausfall der Agentur für Arbeit angezeigt worden ist.

Die Bundesregierung hat aktuell die Anforderungen an die Gewährung von Kurzarbeitergeld weiter gesenkt. Statt der bisherigen 30% der Belegschaft genügt es, wenn mindestens 10 % der Belegschaft aufgrund von Kurzarbeit weniger als 90% ihres Bruttogehalts erhalten. Von dieser Entgeltdifferenz erstattet die Bundesagentur für Arbeit 60 % oder, wenn ein Kind vorhanden ist, 67 % der Entgeltdifferenz.

§ 105

Höhe

Das Kurzarbeitergeld beträgt

  1. für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die beim Arbeitslosengeld die Voraussetzungen für den erhöhten Leistungssatz erfüllen würden, 67 Prozent,
  2. für die übrigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer 60 Prozent

der Nettoentgeltdifferenz im Anspruchszeitraum.

Die Bezugsdauer von Kurzarbeitergeld ist auf 12 Monate begrenzt und wird auf Antrag des Arbeitgebers von der Bundesagentur für Arbeit gewährt. Durch Verordnung kann diese Dauer bis auf 24 Monate verlängert werden.

Auf der Internetseite der Bundesagentur für Arbeit finden sich weitere Informationen und Formulare.

https://www.arbeitsagentur.de/unternehmen/finanziell/kurzarbeitergeld-bei-entgeltausfall

Autor: Rechtsanwalt Tobias Michael

Corona und Arbeitsrecht – was ist zu beachten

By Arbeitsrecht

Aktuell dominiert das neuartige Corona-Virus bzw. Covid-19 die Schlagzeilen. Die Ausbreitung dieses Virus hat auch Auswirkungen auf die Arbeitswelt.

Anspruch auf Arbeitsschutz?

Es gibt im Zusammenhang damit auch bereits ein erstes arbeitsgerichtliches Verfahren vor dem Arbeitsgericht Berlin (ArbG Berlin, Az. 55 BVGa 2341/20). Der Betriebsrat hatte in dem Verfahren gegen ein Verbot des Arbeitgebers geklagt, bei der Arbeit in einem Duty Free Shop Mundschutz und Handschuhe zu tragen. Nachdem der Arbeitgeber dann schriftlich mitgeteilt hatte, dass er das Verbot aufhebt, hatte der Betriebsrat das Verfahren für erledigt erklärt, sodass das Gericht keine Entscheidung treffen musste.

Direktionsrecht und Homeoffice

Soweit bei dem Arbeitgeber kein Betriebsrat besteht, hat dieser grundsätzlich ein recht umfangreiches Direktionsrecht. Dies dürfte auch bei echten Verdachtsfällen eine einseitige bezahlte Freistellung für die Dauer der Inkubationszeit rechtfertigen, wenn es keine Möglichkeit gibt, die Arbeitsleistung einvernehmlich auch von Zuhause aus zu erbringen (Homeoffice).

Kind krank, Kita oder Schule schließt

Wird das Kind krank oder schließt die Kita/ Schule müssen Arbeitnehmer zunächst versuchen eine Ersatzbetreuung zu finden. Ist dies nicht möglich und bei einer Erkrankung das Kind unter 12 Jahre alt, besteht ein begrenzter Anspruch auf Freistellung.

Lohnfortzahlung?

Schließt hingegen die Schule, muss im Einzelfall geprüft werden, ob ein Anspruch auf Fortzahlung des Gehalts gemäß § 616 BGB besteht. Wird hiernach der Arbeitnehmer für eine nicht erhebliche Zeit an der Erbringung seiner Arbeitsleistung ohne Verschulden gehindert, behält er dennoch seinen Lohnanspruch.

Bei einer eigenen Erkrankung gilt grundsätzlich weiterhin die Lohnfortzahlungspflicht für 6 Wochen. Allein eine Angst vor einer Ansteckung rechtfertig allerdings nicht das Fernbleiben von der Arbeit. Anders hingegen, wenn der Arbeitgeber eine Reise in ein Risikogebiet anordnet. Da wird man sicherlich eine Leistungsverweigerung rechtfertigen können.

Autor: Rechtsanwalt Tobias Michael, LL.M.oec

Ostdeutsch kein Benachteiligugsmerkmal im Sinne des AGG (ArbG Berlin, Urt. v. 15.08.2019 – 44 Ca 8580/18)

By Arbeitsrecht

Wer wegen seiner Rasse oder ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität benachteiligt wird, kann Ansprüche aufgrund des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) haben. Diese Aufzählung im AGG ist aber auch abschließend. Dementsprechend gibt es eine Diskriminierung „nur“, wenn auch tatsächlich eines der in § 1 AGG aufgezählten Merkmale vorliegt. Hier kam das Merkmal der ethnischen Gruppierung in Frage. Unter einer ethnischen Gruppierung werden grundsätzlich Bevölkerungsteile, die durch gemeinsame Herkunft, Geschichte, Kultur oder Zusammengehörigkeitsgefühl verbunden sind, verstanden.

In einem aktuellen Verfahren hatte das Arbeitsgericht Berlin darüber zu entscheiden, ob eine ostdeutsche Herkunft dazu führen kann, dass ein Arbeitnehmer benachteiligt werden kann im Sinne des AGG (ArbG Berlin, Urt. v. 15.08.2019 – 44 Ca 8580/18). Der Kläger, stellvertretender Ressortleiter einer Zeitung, klagte auf Entschädigung, weil er sich von zwei vorgesetzten Mitarbeitern wegen seiner ostdeutschen Herkunft stigmatisiert und gedemütigt sah. Insgesamt machte er ca. 800.000 € geltend.

Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Eine Benachteiligung wegen einer ethnischen Herkunft oder Weltanschauung sei nicht erfolgt. Menschen ostdeutscher Herkunft seien nicht Mitglieder einer ethnischen Gruppe oder Träger einer einheitlichen Weltanschauung.

Autor: Rechtsanwalt Tobias Michael

Hier geht es zur Pressemitteilung des Gerichts

Kein zusätzlicher Urlaub für die Freiphase der Altersteilzeit (BAG, Urt. v. 24.09.2019 – 9 AZR 481/18)

By Arbeitsrecht

Altersteilzeitmodelle ermöglichen einen fließenden Übergang in den Renteneintritt. Oft gewählt wird dabei das sogenannte Blockmodell. Dieses Modell unterteilt sich in die Arbeitsphase und Freistellungsphase. In der Arbeitsphase arbeitet der Arbeitnehmer in Vollzeit und „verdient sich“ die Zeit für die Freistellung. Für die gesamte Altersteilzeit wird ein Durchschnittslohn gebildet. Der Arbeitnehmer erhält entsprechend weniger, was allerdings durch Zuschüsse des Arbeitgebers zum Teil ausgeglichen werden kann.

In einem aktuellen Fall vor dem Bundesarbeitsgericht klagte ein Arbeitnehmer auf Abgeltung von Urlaubsansprüchen, die er meinte in der Freistellungsphase seiner Altersteilzeit erworben zu haben (BAG, Urt. v. 24.09.2019 – 9 AZR 481/18). Der Kläger war vom 1.12.2014 bis 31.03.2016 in der Arbeitsphase und bis 31.07.2017 in der Freistellungsphase. Für die Zeit der Freistellung vom 1.4.2016 bis 31.07.2017 wollte der Kläger 52 Urlaubstage finanziell abgegolten haben.

Das BAG wies die Klage des Arbeitnehmers ab. Nach § 3 Abs.1 Bundesurlaubsgesetz hängt der Jahresurlaub von der Anzahl der Arbeitstage ab. Damit ergebe sich bei einem Arbeitnehmer in der Freistellungsphase eine Anzahl von „null“ Arbeitstagen. Dementsprechend sei kein Anspruch auf Erholungsurlaub und dementsprechend auch kein Anspruch auf finanziellen Ausgleich dafür entstanden.

Autor: Rechtsanwalt Tobias Michael

Die Pressemitteilung findet sich hier: BAG, Urt. v. 24.09.2019 – 9 AZR 481/18

Interne Stellenausschreibungen befreien nicht von Sozialauswahl (BAG, Urt. v. 27.06.2019 – 2 AZR 50/19)

By Arbeitsrecht

Unter bestimmten Umständen, etwa durch Tarifvertrag oder Arbeitsvertrag, können Arbeitnehmer nicht mehr ordentlich kündbar sein. Eine außerordentliche Kündigung ist dann zumeist nur noch aus betrieblichen Gründen möglich, etwa wenn Arbeitsplätze vollständig wegfallen. Aber selbst dann, wenn für einen nicht mehr ordentlich kündbaren Arbeitnehmer keine Beschäftigung mehr vorhanden ist, muss dieser für einige Zeit im Betrieb gehalten werden, da ansonsten die an sich bestehende Unkündbarkeit ins Leere liefe. Das Bundesarbeitsgericht spricht davon, dass der Abruf der Arbeitsleistung „sinnentleert“ sein müsste.

In einer aktuellen Entscheidung hatte das Bundesarbeitsgericht zu klären, wie es sich auswirkt, wenn ein an sich unkündbarer Mitarbeiter sich mehrfach, erfolglos auf interne Stellenausschreibungen bewirbt (BAG, Urt. v. 27.06.2019 – 2 AZR 50/19). Aufgrund einer Umstrukturierung wurde bei der beklagten Arbeitgeberin ein sogenanntes Clearingverfahren eingerichtet, was eine Schulung von Mitarbeitern und die Möglichkeit von Bewerbungen auf interne Stellenangebote vorsah. Nachdem der Kläger sich 3 Jahre lang erfolglos beworben hatte, wurde ihm außerordentlich betriebsbedingt gekündigt.

Das BAG entschied, dass die Kündigung rechtswidrig und damit unwirksam war. Das eingerichtete Clearingverfahren ersetzte nicht die Verantwortung der Arbeitgeberin, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um den Kläger vor einer Kündigung zu bewahren. Außerdem sei die Sozialauswahl wegen der Beschränkung allein auf Kollegen des Klägers aus dem Clearingverfahren fehlerhaft erfolgt.

Autor: Rechtsanwalt Tobias Michael

Den Link zur Entscheidung finden Sie hier

Höhere Abfindung – kommt drauf an (LAG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 27.06.2019 – 2 Sa 308/16)

By Arbeitsrecht

Wird das Arbeitsverhältnis durch Kündigung beendet, gibt es keinen automatischen Anspruch auf eine Abfindung. Ein solcher Anspruch müsste im Arbeitsvertrag, Sozialplan oder Tarifvertrag geregelt sein. Kündigt der Arbeitgeber betriebsbedingt, besteht für ihn gemäß § 1a Kündigungsschutzgesetz (KSchG) jedoch die Möglichkeit, im Kündigungsschreiben anzubieten, eine Abfindung in Höhe eines halben Bruttomonatsgehalts pro Beschäftigungsjahr anzubieten, wenn dafür der Gekündigte auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage verzichtet.

In einer aktuellen Entscheidung hatte das Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt darüber zu entscheiden, wie viel Abfindung beansprucht werden kann, wenn der Arbeitgeber im Kündigungsschreiben weniger anbietet, als in § 1 a KSchG vorgesehen (LAG LSA, Urt. v. 27.06.2019 – 2 Sa 308/16). In dem Kündigungsschreiben hieß es „Legen Sie keine Kündigungsschutzklage ein, so haben Sie nach Ablauf der Klagefrist Anspruch auf eine Abfindung in Höhe von 10.000 € brutto…“. Nach der Regelung des § 1a KSchG hätten eigentlich 15.170,62 € angeboten werden müssen. Die Klägerin verlangte die Differenz von 5.170,62 €.

Das LAG wies die Klage ab. Die gesetzliche Regelung in § 1a KSchG schließe nicht aus, dass auch ein geringerer Betrag für einen Kündigungsverzicht angeboten werden könne. Insoweit gelte die Vertragsfreiheit, nach der man auch einen Kündigungsverzicht für weniger als die gesetzliche Regelung vereinbaren könne. Wird § 1a KSchG in der Kündigung nicht zitiert, gilt der genannte Betrag: hier 10.000 €.

Autor: Rechtsanwalt Tobias Michael

Die Entscheidung im Volltext findet sich hier

Nicht genommener Urlaub verfällt nicht ohne weiteres (EuGH, Urt. v. 6.11.2018 – C 619/16)

By Arbeitsrecht

Urlaub, der im Urlaubsjahr nicht genommen werden konnte, musste bis spätestens zum 31.03. des Folgejahres genommen werden. Anderenfalls verfiel er ersatzlos gemäß § 7 Abs.3 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG). Zwar musste noch hinzukommen, dass der Urlaub aus persönlichen oder betrieblichen Gründen nicht genommen werden konnte. In jedem Fall galt allerdings der 31.03. des Folgejahres als Stichtag.

Nunmehr hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass dieser automatische Verfall nicht mit „Europäischem Urlaubsrecht“ vereinbar sei. Nur dann, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer in die Lage versetzt habe, seinen Urlaub zu nehmen und der Arbeitnehmer dann freiwillig auf seinen Urlaub verzichtet habe, erlösche der Urlaubsanspruch (EuGH, Urt. v. 6.11.2018 – C 619/16). Notwendig sei insoweit, dass der Arbeitnehmer klar und rechtzeitig vom Arbeitgeber erfährt, wieviel Urlaub ihm zusteht und dass er diesen im aktuellen Jahr nehmen müsse, um einen Verfall im Kalenderjahr oder Übertragungszeitraum zu verhindern.

In der Konsequenz bedeutet das, dass auch Ansprüche aus zurückliegenden Jahren noch geltend gemacht werden können.

Autor: Rechtsanwalt Tobias Michael

Arbeitsrecht – Übergang auf Betriebsführungsgesellschaft kein § 613a BGB (BAG, Urt. v. 2.01.2018 – 8 AZR 338/16)

By Arbeitsrecht

Wenn der Arbeitgeber den Betrieb oder Betriebsteile verkauft, kann dies zu einem Betriebsübergang gemäß § 613a BGB führen. Im Zuge dessen gehen die bisherigen Arbeitsverhältnisse auf den Betriebserwerber über, ohne dass es hierzu eines neuen Arbeitsvertrages bedarf. Ob allerdings tatsächlich ein Betriebsübergang vorliegt, ist regelmäßig von den Gerichten zu überprüfen. Wesentlich für einen Betriebsübergang sind z.B. der Erwerb wesentlicher Betriebsmittel und des Kundenstamms.

In einem aktuellen Urteil hatte das Bundesarbeitsgericht darüber zu entscheiden, ob es einen Betriebsübergang darstellt, wenn lediglich die Betriebsführung auf den „Erwerber“ der Betriebe übertragen wird, nicht jedoch wesentliche Betriebsmittel und Patente (BAG, Urt. v. 25.01.2018 – 8 AZR 338/16). Nachdem den Arbeitnehmern in den Betrieben, deren Betriebsführung gewechselt hatte, wegen Schließung gekündigt worden war, klagten diese zunächst erfolglos gegen den vermeintlichen neuen Arbeitgeber. Einige Zeit später erfuhren die Arbeitnehmer, dass der alte Arbeitgeber die Produktion an einigen der vom Erwerber geschlossenen Standorten wieder aufgenommen hatte. Vor dem Arbeitsgericht begann ein Streit darüber, ob das ursprüngliche Arbeitsverhältnis doch noch besteht.

Das BAG gab den Arbeitnehmern Recht. Es habe in Wirklichkeit nie einen Betriebsübergang gegeben. Eine reine Betriebsführungsgesellschaft ist kein Betriebserwerber, da die volle Verantwortlichkeit des Arbeitgebers nicht wechsle.

Autor: Rechtsanwalt Tobias Michael

In der Pressemitteilung das BAG:

Ein Betriebsübergang setzt voraus, dass die für den Betrieb des Unternehmens verantwortliche natürliche oder juristische Person, die insoweit die Arbeitgeberverpflichtungen gegenüber den Beschäftigten eingeht, im Rahmen vertraglicher Beziehungen wechselt. Diese Voraussetzung war nicht erfüllt; die Klägerin hatte ihre Verantwortung für den Betrieb des Unternehmens nicht an die Gesellschaft abgegeben. Dem Beklagten war es auch nicht nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) versagt, sich auf den Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses mit der Klägerin zu berufen. Der Umstand, dass die Kündigungsschutzklage des Beklagten gegen die Gesellschaft rechtskräftig abgewiesen worden war, war ohne Belang.

 

Arbeitsrecht – …Schweigen ist Gold (BAG, Urt. v. 31.1.2018 – 10 AZR 392/17)

By Arbeitsrecht

Bekanntlich ist Reden nicht immer Gold. Das musste aktuell ein Arbeitnehmer feststellen, der vor dem Bundesarbeitsgericht auf Zahlung seiner sogenannten Karenzentschädigung klagte (BAG, Urt. v. 31.1.2018 – 10 AZR 392/17). Mit seinem Arbeitgeber hatte der Kläger vereinbart, dass er nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses für 3 Monate nicht bei einem Wettbewerber tätig wird und hierfür monatlich 50% der zuletzt bezogenen durchschnittlichen Bezüge erhält.

Nachdem der klagende Arbeitnehmer zum 31.1. gekündigt hatte, ließ das Geld für den Februar aber auf sich warten. Nachdem der Kläger zunächst mit E-Mail vom 1.3. das Geld eingefordert hatte, schrieb er seinem ehemaligen Arbeitgeber am 8.3. eine weitere E-Mail mit u.a. folgendem Inhalt: „„Bezugnehmend auf Ihre E-Mail vom 1. März 2016 sowie das Telefonat mit Herrn B. möchte ich Ihnen mitteilen, dass ich mich ab sofort nicht mehr an das Wettbewerbsverbot gebunden fühle.“

Nachdem der beklagte Arbeitgeber auch in der Folge nicht zahlte, klagte der Arbeitnehmer 10.120,80 Euro als Karenzentschädigung ein. Das Bundesarbeitsgericht sprach die Entschädigung nur für die Zeit vom 1.2. bis 8.3. zu. Mit seiner E-Mail vom 8.3. sei der Kläger von dem gegenseitigen Vertrag über das Wettbewerbsverbot zurückgetreten und könne daher ab diesem Zeitpunkt auch keine Entschädigung verlangen.

Autor: Rechtsanwalt Tobias Michael